DEN BLICK FÜRS TIER SCHÄRFEN
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Herr Dr. Cruse, mehr Tierwohl in deutsche Ställe zu bringen, mehr Transparenz für Verbraucherinnen und Verbraucher zu schaffen – dies kündigte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir bei Amtsantritt als eine seiner Prioritäten an ...
Fast drei Jahre später ist Tierwohl in der Nutztierhaltung noch immer ein kontrovers diskutiertes Thema in Gesellschaft und Politik. In Hinblick auf die Sicherstellung eines hohen Maßes an Tierwohl spielen drei Kriterien eine zentrale Rolle: Neben der Möglichkeit, ein Normalverhalten auszuführen und der Vermeidung von Stress, ist die Tiergesundheit ein wichtiger Aspekt. Hierfür gibt es noch immer kein einheitliches Monitoring-System.
Die Palette für Tierwohl-Faktoren ist breit. Auch wenn Landwirte und Landwirtinnen ihre Aufgaben und die Verantwortung für ihre Tiere ernst nehmen – allein das "Bauchgefühl" bei der Beurteilung, wie es den Tieren in den Ställen geht, dürfte nicht ausreichen ...
Zur sicheren Beurteilung des Tierwohls gehört natürlich eine gewisse Erfahrung, die sich alle Nutztierhalter antrainieren müssen – vor allem auch, um eine einheitliche Beurteilung vornehmen zu können. Doch wie lässt sich Tierwohl in der Geflügelfleisch- und Schweinefleischerzeugung tatsächlich vergleichbar messen? Diese Aufgabe scheitert bisher an der Verfügbarkeit belastbarer Informationsgrundlagen. Den Nutztierhaltern müssen valide Daten auf Basis von Tierwohlindikatoren so zur Verfügung gestellt werden, dass sie frühzeitig Maßnahmen ergreifen können, um Schaden von den Tieren abzuwenden.
Ein nationales Tierwohl-Monitoring wird seit 2005 vom wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik gefordert. Auch die fleischverarbeitenden Unternehmen schenken dem Thema mittlerweile mehr Aufmerksamkeit. So sollen die Befunddaten der Schlachttiere künftig stärker nach tierwohlrelevanten Kriterien beurteilt werden, als es bisher der Fall ist ...
Daten, aus denen sich Aussagen zu einzelnen Aspekten des Tierwohls ableiten lassen, werden regelmäßig erhoben, etwa bei der Schlachttierund Fleischuntersuchung, können bisher aber nicht systematisch ausgewertet werden. Deutschland verfügt zurzeit über keine umfassende und repräsentative Datengrundlage, um Aussagen zum Tierwohl in der Nutztierhaltung zu treffen. Das Projekt "aWish" leistet hier grundlegende Arbeiten für ein sensorbasiertes Frühwarn- und Managementsystem, das Nutztierhaltern umfassende Informationen liefern kann.
Worum geht es dabei?
Das Kürzel steht für "Animal Welfare Indicators at the Slaughterhouse", zu Deutsch "Tierwohl-Indikatoren im Schlachthaus". Insgesamt beteiligen sich 24 Partner aus Wissenschaft und Praxis, verteilt auf elf Länder, darunter die Niederlande, Belgien, Frankreich, Spanien, Dänemark, Griechenland, Österreich, Serbien, Polen und Portugal. Aus Deutschland sind das Thünen-Institut und die Tierärztliche Hochschule Hannover maßgeblich an dem Projekt beteiligt. Unter den Partnern aus der Wirtschaft befinden sich führende Geflügelfleischproduzenten. Daneben beteiligen sich zahlreiche Technologieunternehmen an aWish, die ihre Expertise einbringen, um die Ziele des Projekts zu unterstützen. Hierzu gehört auch CLK. Unsere kamerabasierten Qualitätskontrollsysteme ChickenCheck und PigInspector sind für die Datenaufnahme in den Schlachthöfen zuständig.
„Unser System erkennt und klassifiziert präzise Verletzungen und Fangschäden.“
Welche Projektziele werden konkret verfolgt?
Das Ziel des Projekts besteht darin, eine groß angelegte automatisierte Überwachung des Tierwohls auf Basis von messbaren Indikatoren zu entwickeln. Rund 70 Tierwohlindikatoren werden vorwiegend im Schlachthof, aber auch auf den Höfen und während des Transports erfasst. Hierbei kommen neue Sensoren und KI-Algorithmen zum Einsatz, um eine präzise Datenerfassung und anschließende Auswertung zu gewährleisten. Im Fokus steht dabei die Geflügelfleisch- und Schweinefleischerzeugung. Last but not least leistet das Projekt natürlich einen wertvollen Beitrag zur Versachlichung der teils emotional geführten Diskussion zum Tierwohl.
Die Betrachtung am Schlachthof ist immer retrospektiv. Warum ist es für Mastbetriebe sinnvoll, sich im Rahmen eines solchen Projekts zu engagieren?
Vor allem, um Entscheidungshilfen für das eigene betriebliche Management zu erhalten. Anhand der Indikatoren lassen sich Rückschlüsse auf den Gesundheitsstatus und das Wohlbefinden der Tiere schließen. Durch das regelmäßige und systematische Erfassen tierbezogener Indikatoren lassen sich im Hühner- und Putenbestand Ursachen für Fehlmanagement erkennen und noch rechtzeitig Gegenmaßnahmen einleiten.
Die Nutztierhalter profitieren also von einer Rückkopplung ...
Gegebenenfalls wird dann die Erarbeitung und Umsetzung eines Gesundheitsplans in Zusammenarbeit mit dem betreuenden Tierarzt in die Wege geleitet. Ein Element des Projekts ist folglich ein Feedback-Tool. So können alle an der Wertschöpfungskette Beteiligten, vom Landwirt bis hin zum Schlachthof, darüber Auskunft geben, was sich aus ihrer Sicht im Sinne des Tierwohls verbessern lässt.
Sie sprachen die CLK-Expertise im Rahmen von aWish bereits an ...
Zum Einsatz kommt in den teilnehmenden Schlachthöfen unser ChickenCheck. Mit ihm bietet CLK ein kamerabasiertes Kontrollsystem zur Verbesserung des Tierwohls in der Geflügelindustrie an, welches anwendbar ist bei Hühnern, Puten und Enten. Durch innovative visuelle Analysen erkennt und klassifiziert das System präzise Verletzungen und Krankheiten bei Geflügel.
„Nahezu alle Schlachthöfe hierzulande haben den ChickenCheck installiert.“
Können Sie an einem Beispiel erläutern, welches bei der Haltung von Legehennen oder Puten geeignete Indikatoren für das Einschätzen des Tierwohls sind?
Gesunde Tiere haben eine intakte Haut. Sie ist ein Indikator für eine artgerechte Haltungsumwelt und ein gutes Herdenmanagement durch den Tierhalter. Verletzungen dagegen, auch Schrammen und Verkratzungen, beeinträchtigen das Tier, sind schmerzhaft und darüber hinaus Eintrittsöffnungen für Krankheitserreger. Ein geeigneter Indikator ist deshalb das Kriterium "Abwesenheit von Verletzungen", um das Tierwohl von Masthühnern oder Puten auf dem Betrieb und am Schlachthof beurteilen zu können.
Welche anatomischen Merkmale werden erfasst und ausgewertet?
Der ChickenCheck erkennt etwa Hämatome und gebrochene Flügel, wie sie auf Fangschäden zurückzuführen sind, sowie gebrochene Brustbeine bei Legehennen. Unser System bietet ebenso die Möglichkeit, die Gelenke auf Sprunggelenksentzündungen, sogenannte Hockburns, zu analysieren. Erfasst wird die Größe von Hautverfärbungen auf den Fußballen und Kniegelenken. Bereits kleinste schwarze Verfärbungen können tiefgreifend und schmerzhaft für das Tier sein. Ein weiteres Beispiel sind Breast Buttons, nekrotische Veränderungen der Brusthaut, die unser System erkennen und ihre Ausprägung bewerten kann. Dank der Kombination aus Farb- und 3D-Kameras ist es auch möglich, den ChickenCheck zur Kropferkennung einzusetzen. Ein neuronales Netzwerk untersucht den Halsbereich auf Verdickungen und ermittelt je einen Score-Wert für die Bewertung.
Entstand die Idee zum ChickenCheck durch eine direkte Kundenanfrage?
Die erste Anfrage nach einem solchen Qualitätskontrollsystem erfolgte vor rund 15 Jahren durch die PHW, bekannt für die Marke Wiesenhof. Dort wurde der ChickenCheck entwickelt und die ersten Systeme in die Schlachtabläufe eingebunden. Aufgrund des Erfolgs wurden viele inländische und europäische Geflügelschlachtbetriebe auf den ChickenCheck aufmerksam. Mittlerweile haben hierzulande nahezu alle Schlachthöfe das System installiert. Darüber hinaus sind in den Niederlanden, Frankreich, Italien, Schweiz, Österreich, Polen sowie in England und Dänemark entsprechende Systeme im Einsatz.
Welche konstruktiven Anforderungen werden an ein solches System gestellt, das in Schlachthöfen zum Einsatz kommt?
Es muss robust genug sein, um dauerhaft an der Schlachtlinie zu funktionieren. Das System muss nicht nur einer Hochdruckreinigung mit Wasser sowie aggressiven Reinigungsmitteln standhalten, sondern auch Veränderungen der Umgebungsverhältnisse und Störungen selbstständig erkennen und entsprechende Meldungen rausgeben. Der ChickenCheck zeichnet sich unter diesen anspruchsvollen Bedingungen durch seine Zuverlässigkeit aus, da er mit autonomen Prüf- und Warnsystemen ausgestattet ist.
„Es geht darum, Entscheidungshilfen für das Mast-Management zu erhalten.“
Solange Qualitätskriterien von Lebensmitteln exakt gemessen werden können, ist eine Automatisierung der Kontrollen einfach. Wie valide aber sind Kamerasysteme, die Tierwohlindikatoren messen?
Der ChickenCheck wurden gründlich validiert. Zu den Hürden zählte dabei, dass die Details in der Qualitätsbewertung durch menschliche Experten an den einzelnen Standorten der Schlachthöfe voneinander abwichen. Viele kleine Details verbinden und verdichten sich in Sekundenschnelle bei einer visuellen Kontrolle zu einem Urteil. Ein automatisiertes System wie der ChickenCheck muss aber die Qualität eines Produktes überall gleich einschätzen. Diese Optimierung wurde erfolgreich umgesetzt und unser System mehrfach offiziell geprüft durch Hochschulen wie auch in nationalen und internationalen Forschungsprojekten.
Wo ist der ChickenCheck dem fachkundigen Personal bei der Identifizierung und Beurteilung der Indikatoren überlegen?
Automatisierte Systeme sollen objektiv bewerten, möglichst alle Tiere einer Herde erfassen und den personellen Aufwand im Schlachthof reduzieren. Die bereits angesprochene Standardisierung der Befunde ist dabei besonders wichtig. Der ChickenCheck ist in der Lage, eine komplette Herde auszuwerten – dies sind im Schnitt 10.000 Tiere. Er kann somit eine viel bessere und validere Einschätzung abgeben als Fachleute, die im Rahmen einer visuellen Bewertung eine Stichprobe von 100 Füßen auswerten. Am Beispiel der Fußballenkontrolle verdeutlicht heißt das: Unser System ist in der Lage, fünf Fußpaare pro Sekunde zu überprüfen – also stündlich bis zu 18.000 Fußpaare.
Wie lassen sich die gesuchten Kriterien aus den Bildern extrahieren und in ein Bewertungssystem überführen?
Die Auswertung beginnt damit, dass im Bild zunächst das wesentliche Objekt präzise gefunden werden muss. Welche visuellen Merkmale in den erfassen Bildern besonders geeignet sind, um etwa verdrehte Füße und Verfärbungen am Fußballen zu erkennen, ist Aufgabe der Datenanalyse. In den vergangenen Jahren hat die Künstliche Intelligenz dabei ihr hohes Potenzial gezeigt. Als wir mit der Entwicklung des ChickenCheck begannen, waren die Verfahren des maschinellen Lernens noch nicht so ausgeprägt wie heute. Unsere Programmierer mussten also allgemeingültige Algorithmen finden, um die relevanten anatomischen Merkmale in den Bildern zu identifizieren; beispielsweise den präzisen Übergang zwischen Fuß und Bein.
Und heute? Welche Rolle spielen Künstliche Intelligenz und Deep Learning?
... haben wir Lernverfahren und Analysemodelle entwickelt, um eine zuverlässige, sekundenschnelle Verarbeitung in Echtzeit zu ermöglichen. Mittels KI ist es möglich, in der Anlernphase des Systems in den Bildern einzuzeichnen, was beispielsweise Fuß ist und was nicht. Dadurch konnte das Verfahren noch allgemeiner entwickelt werden. Ähnliches gilt für die zu detektierenden Verletzungen. Jedes Bild erhält eine detaillierte Bewertung mit Informationen über Aufnahmezeitpunkt, ermittelte Qualitätsstufe, Größe der Fehlstelle, zugehörige Herdennummer sowie die Linie auf der das Produkt liegt.
„Die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz im Tierschutz sind immens.“
Wie arbeitet der ChickenCheck im Detail? Beispielsweise, um bei den Tieren auf einer Schlachtlinie die Fußballenveränderungen zu identifizieren ...
Eine Lichtschranke löst bei jedem vorbeilaufenden Fußpaar eine Aufnahme aus. Das Bild wird vom Rechner eingelesen und die Algorithmen extrahieren aus den Daten zunächst den relevanten Teil mit den Füßen. Anschließend werden die Flächen der Füße sowie die möglicher Verletzungen berechnet, um daraus einen Quotienten zu bilden. Die Bewertung erfolgt anhand des Mittelwertes vom linken und rechten Fuß. So ist eine Einstufung in bis zu fünf Klassen möglich. Zusätzlich erhält der Chicken-Check vom Schlachthof die Information, zu welchem Mastbetrieb die Aufnahme gehört. Dadurch kann nach jedem Mästerwechsel beziehungsweise Schlachtende ein Report über die Herde generiert werden.
Die Schweinehaltung steht in Bezug auf digitale und technische Lösungen noch recht weit am Anfang. Ist die Erfassung von Tierschutzindikatoren beim Schwein auf dem Weg zur Praxisreife?
Die Ziele der aktuell laufenden Forschungsprojekte sind durchaus ambitioniert, gerade wenn es darum geht, Spezifikationen für Haut- und Gelenksveränderungen zu erarbeiten. Natürlich hat die Bildverarbeitung die Schlachtkörperbewertung von Schweinen bereits erreicht. 3D-Kameras, wie sie in unserem PigInspector zum Einsatz kommen, können verwendet werden, um die Schwanzlänge des Tieres zu vermessen. Das ist wichtig, um die Auswirkungen von Schwanzspitzennekrosen auf die Fleischqualität zu bestimmen. Ein weiteres Beispiel ist die Verwendung spezieller Algorithmen, die trainiert wurden, um Anzeichen von Ohrrandnekrosen automatisch zu erkennen. Beide Erkrankungen sind Indizien für Stress und können durch mangelhafte Haltungsbedingungen verursacht werden.
Auf welche Hürden stoßen Sie bei der Entwicklung?
Der PigInspector wurde in Kooperation mit der QS-Qualität und Sicherheit GmbH und der Tierärztlichen Hochschule Hannover entwickelt. Seit einigen Jahren ist er an verschiedenen Standorten im Münsterland im Einsatz. Die Hürden sind vor allem die Definition der tierärztlichen Kriterien, etwa wann eine Läsion noch als gut oder schon als schlecht einzustufen ist – ein auch zum Teil politisch diskutiertes Thema. Technisch existieren dagegen geringe Schwierigkeiten, die einmal festgelegten Kriterien zuverlässig zu erkennen.
Kommen wir abschließend auf den eigentlichen Kern des Gesprächs zurück, dem Tierwohl. Letztlich geht es doch darum, dass nicht nur Schlachthöfe und Erzeuger von einem solchen KI-System profitieren, sondern die Tiere...
Im Grunde genommen handelt es sich hier um eine echte Erfolgsgeschichte – auch aus Sicht der Tiergesundheit. Wir haben festgestellt, dass die Erkrankungen zur Zeit der Einführung des ChickenChecks vor 15 Jahren deutlich schlimmer waren, als es heute für Fußballendermatitis der Fall ist. Insofern können wir davon ausgehen, dass der Einsatz eines solchen kamerabasierten Inspektionssystems nicht nur der Geflügelindustrie erhebliche Vorteile bietet, sondern auch das Wohlergehen der Tiere nachweisbar verbessert. Das zeigt: Die Möglichkeiten der KI im Tierschutz sind immens!