PIONIERANLAGEN FÜR DIE LEBENSMITTELFABRIK 4.0
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Die Referent*innen der "Industrial Pioneers OWL" waren sich einig: An einer intelligenten Automation führt in der Lebensmittelindustrie kein Weg vorbei. Ob Verknappung von Rohstoffen, Lebensmittelverschwendung, Fachkräftemangel, Klimawandel oder steigende Verbraucheransprüche – entlang der gesamten Wertschöpfungskette sind neue Technologien und Konzepte gefragt, die sowohl Effizienzsteigerungen und Kosteneinsparungen erlauben als auch die Möglichkeit bieten, individuelle Produkte herzustellen. Prof. Dr. Hans-Jürgen Danneel ist überzeugt: „Digitale Lösungen und selbstständige Fertigungsprozesse sind hier unverzichtbar, da sie das Potenzial haben, die Produktion sicherer, qualitativ hochwertiger und ressourceneffizienter zu machen.“ Doch viele Hersteller hätten nicht die Möglichkeiten, „digitale Lösungen zu erproben, ohne die laufende Produktion zu stören“, so der Leiter des Instituts für Lebensmitteltechnologie.NRW (ILT.NRW) der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe in seinem Vortrag.
Industrie 4.0-Expertise für die gesamte Branche
Hinzu kommt: Es sind vor allem die großen Konzerne, die bereits Teile ihrer Produktion vernetzt haben. Den kleinen und mittelständischen Lebensmittelproduzenten fällt es dem gegenüber schwer, mit den rasanten technologischen Entwicklungen Schritt zu halten. „Um das Thema intelligente Automation zu adressieren, braucht es vereinte Kompetenzen aus der Welt der Lebensmitteltechnologie und der IT- und Automatisierungstechnik“, so Danneel. Genau diesen Ansatz verfolgt die smartFoodTechnologyOWL-Initiative, die im Jahr 2016 vom ILT.NRW gemeinsam mit dem Institut für Industrial IT (inIT) gegründet wurde. Durch die Zusammenführung von Industrie 4.0-Kompetenzen und lebensmitteltechnologischem Know-how entstand am Innovation Campus Lemgo ein Kompetenzzentrum zum Thema "where food meets IT", welches mit dem Bau der Smart FOODFACTORY eine einzigartige Forschungsplattform erhält.
Mit dem Neubau soll das Thema Lebensmittelindustrie 4.0 weiter an Fahrt aufnehmen. Denn die Smart FOODFACTORY hat konkrete technische Lösungen zum Ziel. Künftig sollen so vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen in der Region und darüber hinaus Unterstützung erhalten, um bei der Digitalisierung mitwachsen zu können. Dafür wird die Expertise aller notwendigen Forschungsdisziplinen vor Ort gebündelt, von der Prozesstechnik, über die Analytik, Mess- und Regeltechnik bis hin zur Datenverarbeitung. Gegenwärtig entstehen auf einer Fläche von rund 2.000 Quadratmetern neben einer Werkhalle zusätzlich Labore, Seminar- und Vortragsräume. „In der Smart FOODFACTORY werden wir innovative Forschungsvorhaben durchführen, mit denen die Herstellungsprozesse von Lebensmitteln sicherer, wirtschaftlicher und umweltfreundlicher gemacht werden“, so Danneel. Ab Ende 2022 werden sich die ersten Konzepte für die intelligente Automation erproben lassen.
Echtzeit-Qualitätssicherung in der Lebensmittelproduktion
Aktuell sind es rund 20 Projekte, die mit etwa 15 Millionen Euro innerhalb des Forschungsschwerpunktes „Where food meets IT“ an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe gefördert werden. Ein Schwerpunkt sind technische Sensoren, die Echtzeitinformationen aus der Produktion liefern. „Hersteller müssen heute mehr denn je in der Lage sein, auf die natürlichen Qualitätsschwankungen von Rohstoffen in der Produktion flexibel eingehen zu können. Infolgedessen konzentrieren wir uns bei unseren Aktivitäten gemeinsam mit Partnern aus der Industrie auf die Entwicklung hochdatenintensiver Messtechnik“, betont Danneel. Mit ihr soll sich ein digitales Abbild des realen Lebensmittels erstellen lassen, anhand dessen sich die Qualität bestimmen und ein individuelles Mindesthaltbarkeitsdatum ableiten lässt.
Die Suche nach neuen Verfahren, die die Qualität der Lebensmittel schon während der Produktion kontinuierlich bestimmen – und nicht stichprobenartig in zeitaufwändigen Untersuchungen im Labor – ist von zentraler Bedeutung für die Wissenschaftler*innen. Dafür entwickeln sie verschiedene Pionieranlagen, die als Demonstratoren dienen und zentral in der Smart FOODFACTORY für Forschungsvorhaben verfügbar werden. Exemplarisch hierfür steht das Projekt "Datenanalyse und autonome Prognostik zur Verbesserung der Transparenz und Sicherheit von Lebensmitteln", welches sich auf die Vorhersage des individuellen Mindesthaltbarkeitsdatums von Lebensmitteln konzentriert.
Wie das Mindesthaltbarkeitsdatum präzisiert werden kann
Die Arbeitsgruppe um Hans-Jürgen Danneel forscht zurzeit an der Haltbarkeitsvorhersage von Tiefkühl-Pizza bis zum Verpackungsprozess. „Den Ausgangspunkt dafür liefern Verderbnisindikatoren, die durch die Kombination verschiedener Sensoren (Sensorfusion) bestimmt und mit Hilfe von multivarianter Datenanalyse ausgewertet werden“, erklärt Daniel Pauli, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Team. Im nächsten Schritt sollen weitere Vorhersagemodelle entwickelt werden, die aus den Einzeldaten verschiedener Kenngrößen zusammenhängende Informationen generieren – „und damit eine genauere Vorhersage des Mindesthaltbarkeitsdatums über den Verpackungsprozess hinaus ermöglichen“, so Stephanie Wisser, Mitarbeiterin in der AG Bildverarbeitung und Mustererkennung und Sensor- und Informationsfusion am inIT.
Datenintensive Sensoren schaffen so die Voraussetzung für eine smarte Lebensmittelproduktion und befinden sich folglich ganz oben auf der Road Map der smartFoodTechnologyOWL-Initiative. Exemplarisch hierfür steht auch das Projekt "Echtzeitqualitätssicherung in der Lebensmittelproduktion – am Beispiel der Weizenteigverarbeitung", welches André Blome und Mario Luttmann von der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe in einer Live-Demonstration präsentierten. Gegenwärtig fehlt es in der Lebensmittelindustrie noch an Sensoren, die in der Lage sind, die „für eine Qualitätsüberwachung in Echtzeit relevanten Prozessgrößen in hoher Frequenz inline zu erfassen und zu verarbeiten“, erklärt Blome. Nutze man dagegen die Sensorfusion, um ein eindeutiges Bild von der Produktqualität zu zeichnen, können „Lebensmittelproduzenten ihre Prozesse frühzeitig optimieren und regulativ in die laufende Produktion eingreifen“, so Blome. Nicht nur Ausschuss und Lebensmittelverschwendung lässt sich durch den Einsatz smarter Technologien verhindern. Auch was die Themen Plant Based Food und Nachhaltigkeit anbelangt, verspricht sich Hans-Jürgen Danneel mit den Möglichkeiten der Smart FOODFACTORY zusätzliche Impulse. Die Mission ist für ihn klar definiert: „Wir wollen mit Pionieranlagen innovative Lebensmitteltechnologien erforschen und Produzenten so den Zugang zu Industrie-4.0-Kompetenzen ermöglichen.“ Mareike Bähnisch