ERFOLGSKONZEPTE FÜR VEGGIE 2.0
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- 1Erfolgskonzepte für Veggie 2.0
- 2Vegetarische Produkte mit Biss
- 3Mehr Freiraum für Innovationen
- 4Natürliche Färbung von Fleischalternativen
- 5Auf der Suche nach Clean Label-Zutaten
- 6Potenziale alternativer Proteinquellen
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Als die Grünen vor rund acht Jahren einen fleischlosen Tag in Deutschlands Kantinen anregten, war die Aufregung groß. Nicht nur die Zeit hat die Kritiker von damals eingeholt, sondern auch die Entwicklung am Markt. Heute macht der traditionelle Wursthersteller Rügenwalder Mühle mehr Umsatz mit vegetarischen und veganen Fleischalternativen als mit klassischen Produkten.
Der Erfolg kommt nicht von ungefähr, denn die Produkte zählen zu einem der am schnellsten wachsenden Segmente in der Lebensmittelbranche. Die Marktforscher von Nielsen verzeichnen hierzulande in nahezu allen Veggie-Kategorien zweistellige Umsatzzuwächse. Insbesondere vegetarische Fleisch- und Wurstalternativen profitieren von einem kräftigen Plus. Zuletzt setzte der Lebensmitteleinzelhandel in dieser Sparte über 212 Millionen Euro um, vor allem mit fleischlosen Schnitzeln, Frikadellen und Nuggets. Damit gehört Deutschland zu den drei größten Märkten weltweit. Doch nicht nur beim Umsatz hat sich einiges getan.
Auch die Veggie-Produkte selbst werden kontinuierlich weiterentwickelt. Viele der auf dem Markt erhältlichen Produkte bestehen zwar weiterhin aus Soja- und Erbsenproteinen. Zunehmend werden aber neue Proteinquellen wie Lupine, Ackerbohnen oder Kichererbsen erschlossen, um sie technologisch in marktfähige Produkte zu überführen. Dr. Jens Mäder von ADM Wild sieht vor allem in diätetischen und ethischen Gründen die Treiber, die zu einer vermehrten Nachfrage führen. „Industrie und Handel reagieren darauf mit einem stark steigenden Angebot. So gibt es mittlerweile kaum noch ein Lebensmittel tierischen Ursprungs, dem nicht ein fleischloses oder veganes Pendant gegenübersteht“, so Mäder. Doch nicht immer würden die organoleptischen Anforderungen der Kunden an die neuen Produktkategorien erfüllt.
Vegetarische Produkte mit Biss
Für Andreas Weißenberger von Coperion K-Tron geht die Entwicklung am Markt einher mit dem zunehmenden Einsatz von Doppelschneckenextrudern. Sie werden dem zunehmenden industriellen Bedarf und den damit verbundenen Durchsatzerwartungen gerecht. Die Texturierung der Proteine erfolgt in den Extrudern unter Einwirkung von Temperatur, Druck und Scherung. „Damit werden auf rein physikalisch-mechanischem Wege funktionelle Eigenschaften erreicht, mit deren Hilfe sich der Einsatz von kostspieligen und deklarationspflichtigen Inhaltsstoffen reduzieren oder gar vermeiden lässt“, so Weißenberger in seinem Vortrag.
Die eingesetzten Proteinpulver werden dem Extrusionsprozess als Vormischung oder über separate gravimetrische Dosiergeräte zugegeben. Die Bestandteile werden nach der Zugabe von Wasser transportiert, vermischt, erhitzt und relativ hohen Drücken ausgesetzt. „Während bei der Herstellung von Trockentexturaten Wasserzugaben von maximal 30 Prozent sowie relativ kurze Verfahrensteillängen üblich sind, liegt der Wasseranteil mit 50 bis 70 Prozent Umfeld der Nassextrusion deutlich höher. Gleichzeitig kommt ein längeres Verfahrensteil der jeweiligen Doppelschneckenextruder zum Einsatz“, erläuterte Weißenberger das Verfahren. Flexibel einstellbare Prozessparameter sowie unterschiedliche Rezepturen erlauben dabei die Variation von Produkteigenschaften wie Festigkeit, Faserausbildung, Farbe und Expansionsgrad.
Nicht mehr nur Vegetarier kaufen derartige Produkte. Vor allem zählen die Flexitarier zur Zielgruppe am Markt. „Diese stark wachsende Käufergruppe konsumiert Fleischalternativen nicht nur aus Gründen des Tierwohls. Vielmehr werden ökologische und gesundheitliche Gründe immer wichtiger“, meint Dr. Anita Hirte, SE Tylose. Doch das Prädikat "vegetarisch" allein reicht vielen Verbrauchern nicht mehr, denn die Ansprüche an Qualität, Geschmack und Textur werden immer höher. Gerade für Flexitarier, die den Biss von Würstchen und die Textur von Fleisch schätzen, müssen erfolgreiche Fleischalternativen der Textur von Würstchen und Fleisch entsprechen. Neben Proteinen sind deshalb Hydrokolloide ein Bestandteil in vielen Fleischalternativen. In kaltverzehrten Produkten wie Aufschnitt kommen vor allem Carrageen und Johannisbrotkernmehl als kaltgelierende Hydrokolloide zum Einsatz. In heißverzehrten Produkten wie Burgern findet sich dagegen vor allem Methylcellulose. Hier sieht Hirte Vorteile, denn „Methylcellulose ist die einzige Lebensmittelzutat, die im Heißen reversibel geliert und vegetarischen Produkten somit einen saftigen, festen und fleischähnlichen Biss verleiht.“
Mehr Freiraum für Innovationen
In einem waren sich die Expertinnen und Experten auf dem GDL-Symposium einig: Gefragt sind nicht nur vegane Wurstwaren, die ihren fleischhaltigen Originalen in puncto Optik und Geschmack nacheifern, sondern eigenständige und individuelle Produkte. Dieser Anspruch ist Fluch und Segen zugleich. Auf der einen Seite gibt es keine klar definierten Produktvorbilder mehr. Anderseits schafft genau dies einen enormen Freiraum für echte Innovationen. Auf der Suche nach Lösungen stoßen Produktentwickler dabei auf eine weitere Herausforderung. Denn obwohl der Clean Label-Trend inzwischen nahezu jedes Food-Segment erreicht hat, bilden vegane und vegetarische Fleischprodukte hiervon eine Ausnahme. Bislang scheint es kaum möglich zu sein, beide Trends miteinander zu vereinbaren und ohne E Nummer-Deklaration auszukommen.
Da die Produkte in Sekundenschnelle beurteilt werden und die Farbe dem Gehirn deutlich vermittelt, welcher Geschmack zu erwarten ist, spielt sie für den Erfolg am Point of Sale eine entscheidende Rolle. Vor diesem Hintergrund sei es wichtig, sich „schnellstmöglich mit der Reformulierung von bereits eingeführten Produkten zu beschäftigen und die Zusammensetzung neuer Entwicklungen so transparent wie möglich zu gestalten“, meint Maike Frerichs von GNT Europa. Sie rät: „Um die Akzeptanz neuer Entwicklungen langfristig aufrecht zu erhalten, sollte auf Zusatzstoffe wie künstliche Aromen oder Farbstoffe verzichtet werden. Überzeugen können den Konsumenten nur Produkte, die ansprechend aussehen und den Clean Label-Kriterien entsprechen.“ Mit Färbenden Lebensmitteln sei es heute möglich, Fleischalternativen durch eine konsumentenfreundliche Kennzeichnung einen Mehrwert zu verleihen.
Natürliche Färbung von Fleischalternativen
Da Proteinquellen wie Soja oder Erbse nicht die mit dem traditionellen Lebensmitteln assoziierte Farbe liefern, ist „der Einsatz von Farben unumgänglich, um die Kundenerwartungen zu erfüllen“, meint Carolin Dunker von Chr. Hansen. In ihrem Vortrag erläuterte sie den Einfluss der Proteinbasis auf die Farbgebung und Farbstabilitätwährend der Lagerung. „Bei Burger Patties gibt ein Erbsenprotein eine orangebräunliche Farbe und eine Proteinmischung basierend auf Erbse und Weizen eine braune Hintergrundfarbe“, so Dunker. Am Beispiel einer Mischung aus Weizen- und Erbsenprotein demonstrierte sie verschiedene Möglichkeiten der Färbung. So lasse sich ein leuchtendes rot-braun durch eine Kombination von Rote-Bete-Konzentrat und Paprikaextrakt erreichen. Darüber hinaus stellte die Expertin Färbemöglichkeiten für pflanzenbasierte Brühwurstprodukte vor. Als Grundlage diente eine Kombination aus Erbsenprotein, Weizengluten und Eiweißpulver. Die Basis erzeugt in diesem Fall eine bräunlich-gelbliche Hintergrundfarbe. Dunker: „Durch den Einsatz von Calciumcarbonat kann die Hintergrundfarbe aufgehellt werden. Dies ist vor allem dann erkennbar, wenn zusätzlich Paprikaextrakt eingesetzt wird.“ Ihr Fazit: Die Hintergrundfarbe von veganen oder vegetarischen Alternativen unterscheidet sich deutlich vom Originallebensmittel, was den Einsatz von Farben bedingt. „Gute und ansprechende Ergebnisse können sowohl mit natürlichen Farbstoffen als auch mit Färbenden Lebensmitteln erzielt werden“, so Dunker zum Abschluss ihres Vortrages.
Ein Sachverhalt, den David Gebhardt-Mencke von Herbafood in seinem Online-Vortrag weiter konkretisierte. „Fleischersatzprodukte basieren meist auf Soja, Erbsenprotein oder Eiklar. Oft mangelt es ihnen deshalb an einer unterstützenden Braunfärbung“, bestätigt der Experte. Er stellte einen Apfelextrakt vor, der bei solchen Lebensmitteln farbliche Akzente verspricht. So soll sich ein blutanmutender Rotton intensivieren oder die natürliche Braunfärbung verbessern lassen. Streich- und Rohwurst könne so „ein natürlicher gold-gelber bis dunkelbrauner Farbton verliehen werden. Ebenso lassen sich Natur- und Kunstdärme oder essbare Wursthüllen färben.“
Auf der Suche nach Clean Label-Zutaten
Welche Clean-Label-Optionen für Lebensmittel auf pflanzlicher Basis bieten sich darüber hinaus an? Kay Schumacher von Bösch Boden Spies widmete sich in seinem Vortrag der Beantwortung dieser Frage. Mit Acerola und Trockenpflaume stellte er zwei Produkte vor, die zur Optimierung und Stabilisierung von Geschmack und Farbe beitragen. Der hohe Gehalt der Acerolakirsche an natürlichem Vitamin C ermöglicht es, Ascorbinsäure (E 300) auf natürliche Weise zu ersetzen. „Da Acerolasaftkonzentrat einen Gehalt von mindestens 17 Prozent aufweist, muss mit etwa der sechsfachen Einsatzmenge gegenüber reiner Ascorbinsäure gerechnet werden“, so Schumacher. Infolge der besseren Bioverfügbarkeit gegenüber synthetischer Ascorbinsäure empfehle sich Acerola insbesondere als Vitamin C-Quelle in vegetarischen und veganen Lebensmitteln zur Auslobung des Health Claims "Mit hohem Gehalt an natürlichem Vitamin C".
Im zweiten Teil seines Vortrags ging Schumacher auf die spezifische Zusammensetzung von Frisch- und Trockenpflaumen ein, in denen er komplexe sensorische Multitalente sieht. Schumacher: „Die seit über 100 Jahren in Kalifornien kultivierte d’Argent Pflaume verfügt über funktionelle Inhaltstoffe wie Sorbitol, Polyphenole, Chinasäure und lösliche Ballaststoffe sowie über ein konstantes Fruktose-Glukose-Säureverhältnis.“ Die Folge sei ein natürlicher Rohstoff, der „multisensorisch die rötlich-braune Farbe, den Geschmack und die Textur intensivieren und so zu einer Minimierung von Gewürzen, Aromen, Salz und Stabilisatoren beitragen kann.“
Aufgrund ihrer funktionellen Eigenschaften lässt sich auch Bierhefe bei der Herstellung von veganen und vegetarischen Produkten einsetzen. Darauf wies Simone Erb von Leiber hin. „Bierhefeextrakte maskieren unerwünschte Off-Tastes wie Bitternoten oder modrig-erdige Noten, die typischerweise bei der Verwendung von pflanzlichen Proteinquellen wie Soja- oder Erbsenprotein auftreten“, so Erb zu den Vorteilen. Ferner würden sie den Produkten einen optimalen Geschmack verleihen, sei es „durch typisch abgerundete Fleischnoten, die bei Bierhefeextrakten sehr stark ausgeprägt sind, oder durch Hervorheben von besonderen Geschmacksprofilen wie spezielle Käsenoten. Darüber hinaus liefern sie B-Vitamine und sind allergenfrei.“
Potenziale alternativer Proteinquellen
Der Trend zum Einsatz von pflanzlichen Rohstoffen stellt die Lebensmittelindustrie vor große Herausforderungen. Bei der Entwicklung neuer Produkte spielen Rohstoffe aus der Erbse aktuell eine große Rolle. Die Neuentwicklungen finden sich dabei quer durch alle Produktgruppen, allen voran Fleisch- und Kuhmilchalternativen, Proteinshakes, Snacks und Riegel. Erbsenrohstoffe sind Clean Label und eine Allergenkennzeichnung ist nicht nötig – ein Thema, dem sich mit Stefanie Faßbinder und Marc Schlegel zwei Referenten von Georg Breuer widmeten. „Die zunehmende Popularität von vegetarischen und veganen Produkten lässt die Attraktivität von Erbsenrohstoffen weiter steigen, die Nachfrage ist enorm“, so Faßbinder in Bremerhaven. „Neben den sehr guten physiologischen Eigenschaften zeichnet sich die Erbse durch eine hervorragende Ökobilanz aus. Europäischer Anbau ohne künstlicheBewässerung und ohne Stickstoffdüngung, sowie die daraus resultierende kurze Transportwege sind nur ein Teil ihrer positiven Eigenschaften“, bestätigt Schlegel. Denn: „Nahezu alle Teile der Pflanze lassen sich verwenden und mit einem Proteinanteil von rund 25 Prozent wird eine rentable Gewinnung von Proteinisolat erreicht.“
Mit Blick auf die Vorträge in Bremerhaven zeigt sich auch: Die Auswahl geeigneter Proteinquellen für vegane Ersatzprodukte sind überschaubar. Doch die Nachfrage nach Proteinen für diese Lebensmittel steigt. Um dieser gerecht werden zu können, wird sich die Produktion bis 2050 verdoppeln müssen. „Die derzeitige Produktion von Proteinen sowohl auf pflanzlicher als auch auf tierischer Basis hat jedoch negative Auswirkungen auf die Umwelt, was die Emissionen von Treibhausgasen, die Landund Wassernutzung sowie den Verlust der biologischen Vielfalt anbetrifft“, meint Martin Schüring vom ttz Bremerhaven. Für ihn ist es deshalb von zentraler Bedeutung, nachhaltige Proteinquellen zu finden, die sich in großen Mengen produzieren lassen, um den wachsenden Bedarf zu decken. Ein Ziel, das sich das EU-Projekt NextGenProteins auf die Fahne geschrieben hat und unter anderem Mikroalgen sowie Einzeller-Proteine als zwei vielversprechende Quellen unter die Lupe nimmt. Im Vortrag ging Schüring auf Hefeproteine ein sowie auf den aktuellen Stand des Projekts im Hinblick auf die Herstellung veganer und vegetarischer Lebensmittel.