© Redefine Meat
Daniel Dikovsky, Leiter des Bereichs Innovation und Technologie bei Redefine Meat, beschäftigt sich mit einer grundlegenden Frage: Wie kreiert man ein pflanzliches Fleisch, das sich nicht nur so nennt, sondern dem tierischen Vorbild in Sachen Saftigkeit und Mundgefühl entspricht?
© Redefine Meat
Das "neu definierte Fleisch" des israelischen Startups Redefine Meat ist ein veganes Produkt, das in drei Dimensionen gedruckt wird.

„ES WIRD KEINEM UNTERNEHMEN ALLEIN GELINGEN“

In der Herstellung pflanzlicher Ersatzprodukte sehen viele Ernährungswissenschaftler* innen einen positiven Schritt, um den weltweiten Fleischkonsum zu reduzieren und die Nachhaltigkeit zu erhöhen. Doch es handelt sich um ein zeitaufwendiges und schwieriges Unterfangen. Eine Person, die sich dieser Herausforderung stellt, ist Daniel Dikovsky, Leiter des Bereichs Innovation und Technologie bei Redefine Meat. Im Interview mit LEBENSMITTELTECHNIK erläutert er, warum Forschung und Entwicklung so wichtig sind, um diesen Prozess zu beschleunigen.

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Herr Dikovsky, in den vergangenen Jahren ist das Bewusstsein für die Auswirkungen unseres Essverhaltens – aus gesundheitlicher und ökologischer Sicht – zweifellos gestiegen. Der derzeit populäre Trend folgt vor allem dem Begriff Plant- Based Food …
Daniel Dikovsky: … und er umfasst viele unterschiedliche Trendausprägungen. Von einer vegetarischen Ernährung bis hin zu veganen Lebens-mitteln, die auf rein pflanzlicher Basis tierische Produkte imitieren. Neben der Zunahme an Vegetariern und Veganern hat mit Plant-Based Food aber vor allem der Flexitarismus Einzug gehalten – und damit eine Esskultur, die den gelegentlichen Fleischkonsum zulässt.

Ein entscheidender Faktor für diese Entwicklung war das immer größere Angebot an pflanzlichen Fleischersatzprodukten, die eine größere Geschmacksvielfalt bieten. Warum reicht Ihnen die Auswahl in den Supermarktregalen noch nicht?
Es steht außer Frage, dass große Fortschritte bei der Entwicklung von Fleischalternativen gemacht worden sind und dass der Aufwärtstrend anhält. Fakt ist jedoch, dass ein Verbrauchertyp dabei zu kurz gekommen ist, nämlich die Fleischliebhaberin und der Fleischliebhaber. Und Fakt ist auch, dass es kaum Produkte gibt, die optisch und geschmacklich der Textur von Fleisch entsprechen.

„Man muss verstehen, woraus Fleisch genau besteht, um es präzise nachbilden zu können.“

Wie wollen Sie das ändern?
Zwei wichtige Bereiche müssen angegangen werden, um Fleischliebhaber an den Tisch zu locken: die Produktqualität und die Produktvielfalt. In diese Bereiche muss unbedingt investiert werden. Die Verbesserung des Geschmacks, der Textur und des Esserlebnisses ist an sich schon eine große Herausforderung. Doch die Sortimentserweiterung der alternativen Fleischindustrie wird aus gutem Grund als heiliger Gral betrachtet. Denn bislang sind in den Supermarktregalen nur eine Handvoll pflanzlicher Hackfleischprodukte zu finden. Zur Erreichung dieses Ziels ist technische Innovation notwendig.

Ihr Ziel ist es also nicht, ein neues Lebensmittelprodukt zu entwickeln, sondern eine neue Technologie am Markt einzuführen?
... die dann zu einer Plattform für die schnelle Einführung neuer und besserer Fleischalternativen wird, die es heute noch nicht gibt. Denn die Wahrheit ist: Es wird noch viele Jahre dauern, um das Fleisch einer "kompletten Kuh" technisch zu reproduzieren – eines Tiers, dessen Muskulatur sich über Jahrhunderte weiterentwickelt hat. Daher sind aus meiner Sicht mehrere Bereiche in der Forschung und Entwicklung von entscheidender Bedeutung, um diesen Prozess und die Innovation in der Produktentwicklung zu beschleunigen.

Welche Hürden gibt es dabei zu überwinden?
Von Natur aus hat Fleisch eine hochkomplexe Struktur. Daher muss man von der Produktion bis zur Verarbeitung und Konservierung verstehen, woraus Fleisch genau besteht, um es präzise nachbilden zu können. Geschmack ist eine Sache. Allerdings ist die Reproduktion der Muskelfasern, um die Struktur eines saftigen Steaks nachzubilden, eine Herausforderung, die Hersteller von Fleischersatzprodukten seit Jahrzehnten umtreibt. Pflanzliche Proteine und tierische Proteine haben eine sehr unterschiedliche Wirkung, vor allem in Bezug auf ihr Verhalten beim Kochen, was die größten Schwierigkeiten bei der Optimierung der Textur bereitet. Erbsen-, Weizen- und Sojaproteine sind die wichtigsten pflanzlichen Inhaltsstoffe, weil sie das fleischähnliche Kaugefühl am besten imitieren.

Womit Sie ein wichtiges Stichwort liefern: Kaugefühl. Wissenschaft und Industrie konzentrieren sich hier in jüngster Zeit auf texturierte Proteine, um die typische Fleischstruktur zu imitieren. Die Herstellung erfolgt meist durch Kochextrusion. Warum haben Sie sich gegen dieses Verfahren entschieden?
Bei der strukturellen Anordnung der Proteine treten Probleme auf. Herkömmliche Extrusionsverfahren, nach denen Fleischersatzprodukte, hauptsächlich pflanzliche Hackfleischprodukte, hergestellt wurden, sind an diese Grenze gestoßen. Letztlich waren sie nicht in der Lage, die Muskelfasern homogener Strukturen zu reproduzieren und ihre Verhaltensänderung beim Kochvorgang zu steuern. Wir setzen stattdessen auf unsere patentierte 3D-Drucktechnologie.

Im Jahr 2020 stellte Redefine Meat das weltweit erste alternative Steak vor, welches mittels digitalem 3D-Druck aus rein pflanzlichen Zutaten hergestellt wird ...
Es gab viel Aufregung bei der Einführung unserer digitalen Technologie, die sich die Fleischwissenschaft direkt bei der Produktion zunutze macht. Durch die Sammlung von Daten zu Parametern wie Zusammensetzung und Verhalten von Tierfleisch ermöglichen künstliche
Intelligenz und maschinelles Lernen die Umsetzung dieser Daten in digitale Produktionsverfahren. Dabei werden die pflanzlichen Inhaltsstoffe auf Voxel-Ebene präzise angeordnet, um Muskelfaserstrukturen digital nachzubilden, die sich nach dem Kochen und im Mund wie Fleisch verhalten und anfühlen. Die Nutzung wissenschaftlicher Kenntnisse über die Zusammensetzung von Fleisch ist für die Produktentwicklung ein enormer Vorteil, der uns bei der Nachbildung ganzer Steaks zugutekommt.

„Es gibt kaum Produkte, die optisch und geschmacklich der Textur von Fleisch entsprechen.“

Um eine hohe Akzeptanz am Markt zu erzielen, gilt es sensorische Merkmale wie Geschmack, Saftigkeit und Bissfestigkeit auf die Erwartungen der Verbraucher*innen abzustimmen …
Sensorische Daten müssen unbedingt in den gesamten Entwicklungsprozess integriert werden, denn es gilt die Meinung der Verbraucher* innen über neue Fleischprodukte zu verstehen. Allerdings ist es eine große Herausforderung, ihr Feedback bestmöglich in neuen Iterationen des Produkts umzusetzen.

Wie gehen Sie dabei vor?
Wir nutzen beispielsweise eine digitale Bibliothek von SQIs (An. der Redaktion: Steak-Qualitätsindex), um jede Iteration beziehungsweise Nachbildung von Fleisch nach Aussehen, Geschmack, Textur und genereller Ähnlichkeit mit Fleisch zu bewerten. Wenn wir schrittweise Änderungen, wie die Erhöhung des Zähigkeitswerts oder des Fettanteils, vornehmen, verfolgen wir, ob die Bewertung durch unsere Sensorik-Panels besser oder schlechter wird.

Schwierig ist allerdings, dass die Bewertung des Geschmacks von Lebensmitteln eine Grauzone sein kann, weil die Vorlieben von Mensch zu Mensch unterschiedlich sind …
Tatsächlich können verschiedene Fleischstücke zu verschiedenen Meinungen führen. Daher können digitale Technologien, wie KI und maschinelles Lernen, dazu beitragen, diese Schwierigkeiten durch die Anwendung intelligenter Algorithmen zu umgehen, um sensorische Daten zu mischen und die beliebtesten SQIs bei der Produktentwicklung in weitere Iterationen einfließen zu lassen. Ein optimierter Feedback-Prozess und die Iteration von Produkten ist ein himmelweiter Unterschied zu dem Versuch, das Feedback nach den uralten herkömmlichen Verfahren zu implementieren. Grundsätzlich wird diese Einbeziehung der Verbraucher* innen in die Erzeugung nicht nur die Produktqualität verbessern, sondern auch den Prozess beschleunigen.

Die Umwandlung pflanzlicher Rohstoffe in schmackhafte, fleischähnliche Inhaltsstoffe ist ein wichtiger Teil der Forschungs- und Entwicklungsarbeit, um die alternative Fleischindustrie voranzubringen. Wie können die Akteure am Markt dieser Herausforderung begegnen?
Die Auswahl der Inhaltsstoffe ist ein strenger Prozess, bei dem festgelegte Parameter in puncto Qualität, Verfügbarkeit, Skalierbarkeit und Nachhaltigkeit unbedingt eingehalten werden müssen. Wenn ein Inhaltsstoff eines dieser Kriterien nicht erfüllt, kann sich das negativ auf die Produktentwicklung auswirken. Einige Hersteller verwenden Gluten, um die Textur von Fleisch zu imitieren. Dadurch sind Verbraucher mit einer Glutenunverträglichkeit von vornherein ausgeschlossen. Andere wiederum verwenden gentechnisch veränderte Organismen zur Geschmacksverbesserung, die jedoch in großen Teilen der Welt verboten sind.

„Digitalisierung heißt, sensorische Daten in den gesamten Entwicklungsprozess zu integrieren.“

Sehen Sie einen Ausweg aus dem Dilemma, in dem sich die Rohstoffbranche befindet?
Auch wenn branchenweit jeden Tag Fortschritte auf Inhaltsstoffebene gemacht werden, ist doch eines klar: Das wird keinem Unternehmen allein gelingen. Zur Unterstützung einer größeren Vielfalt bei der Entwicklung pflanzlicher Inhaltsstoffe und Erweiterung des Produktsortiments, das heute in diesem Sektor angeboten wird, müssen mehr Hersteller von Rohstoffen kooperieren. Da das Know-how in rasantem Tempo weiterwächst und Plant-Based Food immer attraktiver wird, gehe ich fest davon aus, dass weitere namhafte Akteure dem Aufruf zur Zusammenarbeit folgen werden.

Was können wir also in Zukunft erwarten?
Die Industrie wird sich zweifellos in eine positive Richtung entwickeln. Große Fortschritte werden nicht nur bei der Verbesserung des Geschmacks und der Textur von Produkten, sondern auch bei der erheblichen Erweiterung der Produktvielfalt gemacht. Das war ein entscheidender Faktor auf dem schnell wachsenden Flexitariermarkt und hat umweltbewussten Fleischliebhabern eine Alternative zu Fleisch ohne Geschmackseinbußen geboten. Die rekordverdächtigen Investitionen der Branche in den vergangenen Jahren sind ein Beleg dafür. Doch wenn uns der große Durchbruch bei Fleischersatzprodukten und bei der Reduzierung des weltweiten Fleischkonsums gelingen soll, dann ist mehr Innovation entlang der gesamten FuE-Wertschöpfungskette notwendig.

Mit Innovation spielen Sie nicht zuletzt auch auf die Rolle der Digitalisierung an. Ohne geht es also nicht?
Im Hinblick auf die Optimierung von Inhaltsstoffen, Geschmacksbildung, Erstellung und Integration von Fleischdaten sowie Sensorik bewirkt die Digitalisierung der Forschung und Entwicklung einen enormen Unterschied gegenüber den analogen Verfahren zur Herstellung von Fleischersatzprodukten, die bisher gang und gäbe sind. Das stellen wir aus erster Hand bei neuen "ganzen" Produkten fest, die erstmals auf den Markt kommen. Wenn aber Unternehmen wie uns ein echter Durchbruch in der Branche gelingen soll, dann sind eine intensivere Zusammenarbeit im Nahrungsmittel-Ökosystem und ein stärkerer Einsatz von Technologie notwendig.


Das Gespräch führte LT-Chefredakteur Thomas Wiese

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