KLEINE FRÜCHTE GANZ GROSS
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Leguminosen zählen zu den ältesten Nahrungsmittelpflanzen der Menschheit. In Kulturkreisen, in denen traditionell wenig oder kein Fleisch verzehrt wird, sind sie seit jeher eine wesentliche Ernährungsgrundlage. Bevor sie Anfang des vergangenen Jahrhunderts in Vergessenheit gerieten, waren Hülsenfrüchte auch hierzulande fester Bestandteil der Speisepläne. Mittlerweile feiern Erbsen, Linsen und Bohnen unter dem Motto 'Bewusst ernähren mit Genuss' ein Comeback – und das mit wachsender Vielfalt. Neben frischen Bohnen und Erbsen gibt es ein großes Sortiment an getrockneten Hülsenfrüchten und Konserven, aber auch verschiedenste Mehle oder Brotaufstriche. Gelbe Linsen geben nicht nur italienischer Pasta im Kühlregal ein völlig anders Gesicht. Mit nährstoffreichen Snacks auf Hülsenfruchtbasis bekommen sogar Klassiker wie Kartoffelchips und Erdnussflips ernsthafte Konkurrenz.
Die starke Nachfrage der Verbraucher nach Hülsenfrüchten ist für Jürgen Berning keineswegs überraschend. „Wir bei Müller’s Mühle haben uns speziell auf diesen Wachstumsbereich fokussiertund wollen künftig mehr innovative Produkte auf den Markt bringen“, so der Key Account Manager im Gespräch mit food design.Die GoodMills-Tochter aus Gelsenkirchen gilt als größter Anbieter von getrockneten Hülsenfrüchten hierzulande und investiert derzeit 15 Millionen Euro in eine Werkserweiterung, um die wachsende Nachfrage nach Spezialmehlen aus Hülsenfrüchten bedienen zu können.Die Anlage zur Windsichtung hat eine Kapazität von rund 19.000 Tonnen. Sie soll im kommenden Jahr ihren Betrieb aufnehmen und verarbeitet ausnahmslos gluten- und allergenfreie Rohstoffe. Berning sieht hier ein großes Marktpotenzial: „Wir wollen unseren Industriekunden Spezialmehle zur Verfügung stellen, die die positiven ernährungsphysiologischen Eigenschaften und die funktionellen Eigenschaften vereinen.“
Direkter Draht zum Landwirt
Die Familie der Hülsenfrüchte (lat. Fabaceae) umfasst etwa 730 Gattungen und 20.000 Arten. Kommerziell angebaut werden nur rund 20 Sorten. Anders als andere Nutzpflanzen gehen Hülsenfrüchte eine Symbiose mit den Knöllchenbakterien im Boden ein und binden über diese den Luftstickstoff. Stickstoff ist essenziell für das Wachstum, kann aber in Gasform nicht von den Pflanzen aufgenommen werden. „Während konventionelle Landwirte dieses Manko mit synthetischen Stickstoffdüngern ausgleichen, machen sich ökologische Betriebe das vorteilhafte Miteinander von Hülsenfrüchten und Bakterien zu Nutze“, erläutert Berning. Die Folge: Der Boden wird nachhaltig fruchtbarer.
Weniger Importe, weniger Dünger, mehr Nachhaltigkeit – für Jürgen Berning gibt es viele gute Gründe, den Anbau von Hülsenfrüchten hierzulande auszuweiten. Bisher wachsen die eiweißreichen Pflanzen nur auf wenigen Flächen. Das will Müller’s Mühle ändern. Um die hohe Qualität der angebotenen Produkte sicherzustellen, setzen die Gelsenkirchener verstärkt auf Vertragsanbau aus Deutschland. „Der Vertragsanbau ist ein wichtiger Baustein unserer künftigen Rohstoffversorgung. Wir bieten den Landwirten eine sichere Abnahme ihrer Früchte und garantieren unseren Kunden damit gleichzeitig eine sichere Verfügbarkeit unserer Produkte“, erläutert Berning. In den vergangenen zwei Jahren sei die Anbaufläche kräftig gewachsen. Dem geplanten Marktstart der neuen Hülsenfruchtmehle der Smart-Range und der Purafurin-Range stehe damit nichts im Wege.
Hülsenfrüchte gewinnen vor allem mit der Abkehr von hohem Fleischkonsum einen neuen Stellenwert. Seit 2016 nimmt der Trend zu alternativen Proteinquellen stetig an Fahrt auf. „Immer mehr Menschen ernähren sich vegetarisch oder vegan“, bestätigt der Key Account Manager. Als Folge davon würden die Verbraucher zunehmend nach Lebensmitteln mit erhöhtem Eiweißgehalt suchen – und hier insbesondere nach Proteinen auf pflanzlicher Basis. Berning: „Dieses Thema ist eng mit den Hülsenfrüchten verzahnt und zählt zu einem der am stärksten wachsenden Marktsegmente.“ Der Trend, der die Essgewohnheiten nachhaltig beeinflusst, macht auch vor dem Bereich der Sporternährung nicht Halt. Der Mintel Global New Products Database zufolge sind 14 Prozent der europäischen Produktneuheiten im Bereich Sport und Performance, die zwischen Juli 2018 und Juli 2019 lanciert wurden, entweder vegan oder aus rein pflanzlichen Inhaltsstoffen.Gutes Beispiel sind hierfür Energieriegel. Während in 2015 ein Fünftel (22 Prozent) aller Energieriegel als vegan ausgezeichnet waren, stieg dieser Anteil 2019 auf 34 Prozent.
Körnerleguminosen im Aufwind
Erbsen, Bohnen und Linsen bedienen zudem einen zweiten Trend, denn sie spielen für die glutenfreie Ernährung eine zentrale Rolle in der Produktwicklung. Noch machen Brote mit Kichererbsen- und Linsenmehl nur einen kleinen Teil der Produkteinführungen in Deutschland aus. Doch Katya Witham, Global Food and Drink Analyst bei Mintel erwartet, dass diese Rohstoffe künftig an Bedeutung gewinnen. „Darüber hinaus sind Hülsenfrüchte Grundbestandteil vieler ethnischer Küchen, wodurch sie Herstellern interessante Möglichkeiten für Innovationen bieten – gerade, wenn man Konsumenten ansprechen möchte, die internationalen Gerichten offen gegenüberstehen und gleichzeitig Interesse an Convenience Food zeigen“, ist Witham überzeugt. Hierfür lohne sich ein Blick nach Asien, um sich von dort Inspirationen für Brot- und Backwaren aus Hülsenfruchtmehlen zu holen.
Jürgen Berning bestätigt: „Die Konsumenten interessieren sich für alternative Mehlsorten und natürliche Zutaten, die neue Geschmacksrichtungen und funktionelle Eigenschaften bieten. Viele greifen deshalb auf Spezialmehle zurück, da sie gesundheitlich auf Getreide verzichten müssen oder sich möglichst bewusst und gesund ernähren wollen.“ Menschen die unter Zöliakie oder Glutensensitivität leiden profitieren davon. Ihnen bieten sich damit echte Alternativen zu Produkten, die traditionell auf Weizenmehl basieren.
Auch ernährungsphysiologisch haben die Saaten für Witham einiges zu bieten. Linsen beispielsweise zählen zu den proteinreichsten Hülsenfrüchten. „Generell sind Kichererbsen, Linsen und Erbsen reich an Nährstoffen, Proteinen und Mineralien und können Brot- und Backwaren eine Reihe gesundheitlicher Vorteile verschaffen“, so die Mintel-Expertin. An erster Stelle steht der Gehalt an hochwertigem Protein mit 20 bis 40 Prozent. Außerdem enthalten sie reichlich Ballaststoffe und komplexe Kohlenhydrate, aber nur wenig Einfachzucker was sich in einem niedrigen glykämischen Index widerspiegelt. Mineralstoffe, Spurenelemente und B-Vitamine runden das Spektrum ab. Bei gelben und roten Linsen, nach Soja die proteinreichste Hülsenfrucht, kommen sekundäre Pflanzenstoffe wie Anthocyane und Carotine hinzu, die die Schale zum Leuchten bringen.
Per Windsichtung zu höherem Proteingehalt
Hülsenfrüchte liegen nicht nur im Trend, sondern bedienen darüber hinaus verschiedene funktionelle Bedürfnisse in der Produktentwicklung. Primär sind die aus den Leguminosen gewonnenen Mehle für Lebensmitteltechnologen aufgrund ihrer hohen Proteinfraktion interessant. In Gelsenkirchen arbeiten Jürgen Berning und ein eigens dafür ins Leben gerufene Innovationsteam daran, aus Ackerbohnen, gelben Erbsen, gelben und roten Linsen sowie Kichererbsen die hochwertigen Mehle der Smart-Range und der Purafurin-Range zu gewinnen. „Wie konzentrieren im Grunde genommen die Proteinfraktion der klassischen Hülsenfruchtmehle auf“, fasst Berning das Verfahren zusammen.
Dazu wird die Rohware in einem ersten Schritt geschält, von Fremdkörper befreit und vermahlen. Beim anschließenden Windsichten werden die feinstvermahlenen Mehle mithilfe eines Luftstroms in zwei Fraktionen geteilt: in die stärkereichen Purafurin-Mehle und die proteinreichen Smart-Konzentrate. Für eine Tonne Proteinkonzentrat werden rund 3,5 Tonnen Ausgangsmaterial benötigt. Gegenüber der Herstellung handelsüblicher Protein-Isolate sieht Berning dieses Verfahren auch ökologisch im Vorteil, denn: „Unsere Mehle sind deutlich ressourcenschonender herzustellen, da sie nach der Vermahlung lediglich mechanisch aufkonzentriert werden.“ In der jeweiligen Range zeichnen sich die Mehle durch eine homogene Partikelgröße und hohe Chargenkonsistenz aus, so dass Farbe und Geschmack auch im späteren Lebensmittel gleichbleibend sind.
Bei gelben Kichererbsen ist eine Anreicherung des Proteins auf rund 35 Prozent möglich. Höhere Gehalte lassen sich mit 50 bis 55 Prozent bei gelben Erbsen und Linsen erzielen. Das Mehl aus Ackerbohnen liefert mit über 60 Prozent den höchsten Proteinanteil in der Smart-Range. Die Mehle ermöglichen Lebensmittelherstellern, Hülsenfrüchte in vielen spannenden Bereichen einzusetzen – beispielsweise, um den Proteingehalt in Backwaren und Müsli-Riegeln zu erhöhen. Starkes Interesse erwartet der Key Account Manager auch bei Süßwaren. „Die gesunden Snacks auf Basis der Smart-Range begeistern seit einigen Monaten die Mitarbeiter in unserem Technikum bei GoodMills Innovation in Hamburg“, bestätigt Berning, der an einer Vielzahl von Rezepturen mitgewirkt hat. Darüber hinaus zeichnen sich die Konzentrate durch eine schaumbildende und emulgierende Wirkung aus. Beides Funktionen die eine zentrale Rolle spielen, wenn es darum geht Eier zu ersetzten.
Im Gegensatz dazu enthalten die Mehle der Purafurin-Range einen einheitlichen Proteingehalt von zwölf bis 13 Prozent. Das neutrale Geschmacksprofil der kohlenhydratreichen Mehle ermöglicht in süßen Gebäcken, Teigwaren und Snacks höhere Zugaben, ohne den Geschmack oder die sensorische Eigenschaften der Produkte zu beeinträchtigen.Für Produkte, bei denen die Proteinanreicherung nicht im Vordergrund steht, sind sie die optimale Wahl.Neben Panaden und Coatings eigenen sie sich für glutenfreie Pasta-Variationen und Pizzen.
Je nach Eigenschaftsprofil können die Mehle bei der Entwicklung veganer und vegetarischer Lebensmittel als Strukturbildner, Emulgatoren und Stabilisatoren eingesetzt werden – und das entsprechend der Clean Label-Kriterien, denn im Zutatenverzeichnis sind die Mehle der Smart-Range wie auch die der Purafurin-Range für den Verbraucher als 'Hülsenfruchtmehle' zu erkennen. Verfügbar sind sie ab März 2021. Dann können Produktentwickler aus insgesamt zehn Mehlen – fünf aus Smart-Range und fünf aus der Purafurin-Range – gezielt die Sorten wählen, die am besten zu ihrer jeweiligen Applikation passen. „Bis es soweit ist, stellen wir auf Wunsch gerne Muster unserer neuen Hülsenfruchtmehle zur Verfügung“, so Jürgen Berning zum Abschluss des Gesprächs.