MIT FOKUS AUF SYSTEMEFFIZIENZ
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Bis 2050 soll der gesamte in der Bundesrepublik verbrauchte und produzierte Strom klimaneutral sein. Der Ausbau erneuerbarer Energien (EE) gilt dabei als Voraussetzung dafür, dass Deutschland seine Klimaschutzziele erreichen kann. Im Rahmen der Online-Konferenz wurde die Sektorenkopplung – also die Nutzung von erneuerbaren Strom insbesondere im Bereich der Wärme und Kälte – sowie die effiziente Strom- und Wärmebereitstellung von den über 95 angemeldeten Teilnehmern als vielversprechender Lösungsweg diskutiert. Aber was genau schließt dieser Wandel alles mit ein?
„Ziel muss es sein, den Strombedarf künftig überwiegend mittels erneuerbaren Energien, hauptsächlich aus Wind und Photovoltaik, zu decken“, bekräftigte Prof. Dr.-Ing. Uwe Holzhammer in seinem Vortrag zu den Auswirkungen der Energiewende. Doch der kontinuierliche Ausgleich des Restanteils im Strombedarf benötigt entsprechend flexible Kraftwerke aber auch Verbraucher – und das schon auf der Ebene der Unternehmen. Sie werden damit von passiven Stromabnehmern zu aktiven Elementen im Stromsystem.
Molkereien als Teil der Energiewende
Am Institut für neue Energie-Systeme (InES) der Technischen Hochschule Ingolstadt widmet sich Projektleiter Holzhammer mit seinen Team im Projekt BlueMilk deshalb gezielt der Identifizierung von Möglichkeiten für Molkereien, die Energiewende aktiv mitzugestalten. Unterstützt werden er und sein Team von Unternehmen aus der Wirtschaft: die Andechser Molkerei Scheitz, die Molkerei Zott sowie durch die Anlagenbauer Lemmermeyer GmbH & Co.KG und AGO GmbH Energie + Anlagen. „Gemeinsam mit unseren Partnern untersuchen wir, wo in Molkereien durch Sektorenkopplung, also durch den Einsatz von erneuerbarem Strom eine Substitution fossiler Wärme erhöht stattfinden kann, und wo es in der Produktion noch Potenziale zur Steigerung der Energieeffizienz gibt“, erläuterte Volker Selleneit, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Team von Holzhammer, das Ziel des Forschungsvorhabens. Systemeffizienz heißt, das Optimum zu finden aus Energieeffizienz und Last- und Erzeugungsmanagement. „Wir wollen den benötigten Energiebedarf verringern und gleichzeitig Wege für einen flexiblen Bezug und/oder die Bereitstellung von Energie aufzeigen, um die Treibhausgasemissionen so niedrig wie möglich zu halten“, so der Ingenieur.
Eine der Schlüsseltechnologien im Visier der Forscher ist Power2Cool. Das Potenzial des Verfahrens erachten die Ingolstädter Wissenschaftler im Bereich der Lebensmittellagerung als vielversprechend, die üblicherweise bei rund vier Grad Celsius erfolgt. Besteht im Stromversorgungssystem ein hoher Anteil an EE zu gleichzeitig niedrigen Preisen und geringen spezifischen Emissionen, kann die Temperatur unter diese Zielmarke abgesenkt werden. Das Kühlregallager wird dadurch zu einer Art Kältespeicher. Der gegenteilige Fall tritt ein, wenn ein geringer Anteil an EE im Versorgungssystem zu hohen Strompreisen und hohen spezifischen Emissionen führt. Dann wird auf die gespeicherte Kälte zurückgegriffen und die Temperatur steigt wieder auf vier Grad Celsius. Mit diesem Prinzip lässt sich der notwendige Kühlbedarf über den gesamten Zeitraum decken, bei gleichzeitig höheren Anteilen an erneuerbaren Strom und somit geringeren Treibhausgasemissionen am Kühlprozess. Zum Einsatz kommt dabei eine flexibel betriebene Kompressionskälteanlage, so der Ansatz. Ob deren Fahrweise schon die systemeffiziente Vorgehensweise mit den geringsten Emissionen darstellt, wollen Selleneit und seine Kollegen als nächstes herausfinden.
Erlösmöglichkeiten an der Strombörse
Ein weiterer Ansatz zur THG-Minderung und Systemeffizienzsteigerung, den BlueMilk untersucht, ist die intelligente Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) mittels Blockheizkraftwerken (BHKW). Moderne Systeme decken heute bereits einen Großteil des Eigenbedarfs an Strom in lebensmittelverarbeitenden Betrieben ab. Sie lassen sich mit Erdgas, Biomethan oder Biogas, wie es bei der Vergärung von Reststoffen anfällt, betreiben. Der gewonnene Strom kann lokal verbraucht oder in das öffentliche Netz eingespeist werden. Gleichzeitig lässt sich die gewonnene Wärme im Produktionsprozess oder zur Versorgung der Gebäude verwenden. „Die Einspeisung in das allgemeine Versorgungssystem in Abhängigkeit des Strompreises zu gestalten, eröffnet Molkereien neue Möglichkeiten, nicht nur um Erlöse zu erzielen, sondern auch um CO2-Emissionen im Gesamtsystem zu senken“, erklärte Selleneit.
Voraussetzung dafür ist eine technische und organisatorische Ausstattung, die dem BHKW, auch im Zusammenspiel mit den anderen genannten Technologien, eine notwendige Grundintelligenz für einen flexiblen Betrieb verleiht. Dann ist es möglich, die betriebliche Energieerzeugung nach dem Strombörsenpreis auszurichten. Im Idealfall erfolgt eine hoch vergütete Einspeisung bei niedrigem EE-Anteil und ein intelligenter Strombezug bei hohem EE-Anteil und geringen Preisen, und das jeweils unter Berücksichtigung des Prozesswärmebedarfs. Perspektivisch sieht der Wissenschaftler in der Kraft-Wärme-Kopplung eine kraftstoffunabhängige Technologie, da „die Entwicklungen dahingehen, BHKW auch mit erneuerbaren Wasserstoff zu betreiben.“ Hintergrund: In Wasserstoff sehen viele Experten ein wichtiges Speichermedium, um regenerativ erzeugten Strom, mittels Kraft-Wärme-Kopplung einer zeitversetzten Nutzung zuzuführen.
Flexibilisierte Energieversorgung als Szenario
Strom und Wärme selbst bereitstellen und die Energieversorgungskosten in Summe zu senken: Ein BlueMilk-Partner, der sich dafür gerüstet hat, ist die Andechser Molkerei Scheitz. Im Rahmen der von Josef Scheuermeyer, verantwortlich für die Energieversorgungstechnik, vorgestellten Modernisierungsaktivitäten, investierte das Unternehmen in ein BHKW, das mit einer elektrischen Leistung von einem Megawatt den Eigenbedarf deckt. In ersten Simulationsrechnungen in einem an die Betriebsgröße der Andechser Molkerei angelehnten Modell entstehen Energieversorgungskosten mit dem auf Eigenversorgung ausgelegten BHKW von rund 1,3 Millionen Euro. Holzhammer und sein Team nutzten die Gegebenheiten vor Ort für eine Bestandsaufnahme – und simulierten weitere Szenarien, die diesen Status Quo der Eigenversorgung mit dem einer flexiblen Stromeinspeisung vergleichen. Die Wissenschaftler errechneten, welche Anlagendimensionen für einen vergleichbar wirtschaftlichen Betrieb nötig wären.
„Um dasselbe Niveau an Energieversorgungskosten zu erreichen müsste nach aktuellem Ergebnisstand das BHKW mit einer Leistung von 3,3 Megawatt nicht nur deutlich größer sein, sondern zusätzlich auch ein Wärmespeicher integriert werden“, schlussfolgerte Selleneit in seinem Vortrag. Doch das allein reiche nicht: „Selbst bei sehr flexibler Fahrweise würde die Molkerei bei den aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen mit diesem Konzept aus Gesamtkostensicht nicht die geringen Energieversorgungskosten erreichen.“ Hier müssen weitere marktwirtschaftliche und regulatorische Anreize vom Gesetzgeber geschaffen werden, wenngleich „es mit den jüngsten Novellierungen beim EEG und dem KWK-Gesetz in die richtige Richtung zu gehen scheint“, so Selleneit. Ein Aspekt, den die Teilnehmer in der Diskussion wieder aufgriffen.
Wärme rückgewinnen und einsparen
Potenziale entdecken, um die Systemeffizienz zu verbessern – darum geht es auch bei Zott in Mertingen. Der BlueMilk-Partner hat speziell zur Wärmerückgewinnung bereits diverse Maßnahmen umgesetzt. Holzhammer und sein Team untersuchten hier konkret, welche Möglichkeiten es im Bereich der Reinigung gibt, um Wärme sowie Betriebskosten einzusparen. Neben der Kühlung und Prozesswärmeversorgung zählt dieser Bereich zu den energieintensivsten in Molkereien. „Die dafür benötigten Systeme sind hochenergetisch im Verbrauch, da sie rund um die Uhr verfügbar sein müssen“, bestätigte Richard Nisseler, verantwortlich für das Thema Nachhaltigkeit bei Zott. Einen ersten Ansatzpunkt sieht Martin Stöckl, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Team von Holzhammer, darin, die Energie der im Reinigungsprozess verwendeten Medien zu nutzen, die „sonst über den Gully verloren geht.“ Erreicht werden könne dies etwa durch direkte Rückgewinnung der Abwärme aus den Reinigungsprozessen mit Wärmetauschern, durch Einsatz von Speichern (indirekte Wärmerückgewinnung) oder durch den Einsatz von Wärmepumpen (Power2Heat).
Welche der im Rahmen der Online-Konferenz vorgestellten Optionen für Molkereien aus ökonomischer und ökologischer Sicht am besten sind, wollen die Forscher der Technischen Hochschule Ingolstadt im restlichen Verlauf der Projektlaufzeit erarbeiten. „Wir wollen unsere Erkenntnisse einem möglichst breiten Publikum zugänglich machen. Unser Ziel ist es, in einen weiteren fachlichen Austausch mit der Branche zu kommen, um das Thema Energiewende weiter voranzubringen“, so Prof. Dr.-Ing. Uwe Holzhammer zum Abschluss der Konferenz.