PLANT BASED SOLUTIONS
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Die markante Silhouette der Siloanlagen von Müller’s Mühle prägt den Binnenhafen in Gelsenkirchen. Seit 1913 befindet sich hier der Stammsitz des traditionsreichen Unternehmens, das heute mit seinen 150 Beschäftigten zur GoodMills Group gehört und eine der modernsten Reismühlen weltweit ist. Bei einer Produktionskapazität von rund 120.000 Tonnen wird jährlich ein Umsatz von über 60 Millionen Euro erwirtschaftet. Business Development Manager Christian Bärenwalde steht am Überwachungspanel der zentralen Steuerung und sichtet eine Stichprobe. Das Rohrsystem, das ihn und Key Account Manager Jürgen Berning umgibt, transportiert keine Reiskörner, sondern Hülsenfruchtmehle. Vier große Silos in der Halle liefern die dafür erforderlichen Rohstoffe an eine hochmoderne Mühle, die pro Tag über 75 Tonnen Hülsenfrüchte verarbeitet. „Unsere Produktion läuft auch in Corona-Zeiten auf Hochtouren. Trotz der extrem stark gestiegenen Nachfrage sind wir unverändert in der Lage, zeitnah und verlässlich in der gewohnten Qualität Ware zu liefern“, so Berning während des Vor-Ort- Termins gegenüber food design.
Investition in die Zukunft der Ernährung
Rund 14,5 Millionen Euro hat Müller’s Mühle in die neue Veredelungstechnologie für seine Hülsenfruchtmehle investiert. Gemeinsam mit der GoodMills Group bildet man Europas größten Mühlenverbund, ist einer der größten Reis- Veredler Europas und unangefochtener Marktführer bei Hülsenfrüchten. Mit der neuen Anlage wollen Bärenwalde und Berning die führende Position von Müller’s Mühle im Segment der Hülsenfruchtmehle festigen und weiter ausbauen. Die Produktion läuft hochautomatisiert ab – von der Rohstoffannahme bis zur Absackung. „Dank unserer fortschrittlichen Windsichtungsanlage können wir funktionelle Mehle und Proteinkonzentrate mit einem Eiweißgehalt bis zu 65 Prozent herstellen“, erklärt Bärenwalde, der mit der Stichprobe zufrieden ist. Anfang des Jahres hat die Anlage mit ihrer Kapazität von 19.000 Tonnen wie geplant ihren Betrieb aufgenommen – inmitten der Corona-Pandemie. Als Rohstoffe nutzt Müller’s Mühle rote Linsen, gelbe Erbsen, Favabohnen und Kichererbsen, deren wertvolle Nährstoffe während der schonenden Feinstvermahlung und Windsichtung erhalten bleiben.
Die Produkte werden als geschmacksoptimierte "Purafurin Pulses"-Mehle, proteinreiche "Smart Pulses"-Mehle und proteinkonzentrierte "Smart Pulses Pro"-Mehle vertrieben. Produktentwickler können damit aus insgesamt zehn Hülsenfruchtmehlen wählen, die frei von Allergenen sind und außerdem das Clean-Label-Kriterium erfüllen. „Die Produkte unterscheiden sich vor allem hinsichtlich ihrer Gehalte an Proteinen und Kohlenhydraten, was einen enormen Freiraum für echte Innovationen schafft“, betont Berning. Im Zentrum stehen dabei nicht zuletzt die funktionellen Eigenschaften der Mehle. "Smart Pro Fava Bean" beispielsweise, ein Mehl aus der Favabohne mit einem Proteingehalt von über 60 Prozent, ist in Wasser und Wärme leicht und schnell quellend und zeichnet sich durch sehr gute Bindeeigenschaften aus. "Smart Pro Chickpea" mit über 40 Prozent Protein weist darüber hinaus gute Emulgiereigenschaften auf und ist ein optimaler Schaumbildner. In der jeweiligen Range zeichnen sich alle Mehle durch eine sehr homogene Konsistenz aus, so dass Farbe und Geschmack auch im späteren Lebensmittel gleichbleibend sind.
Nährwert-Booster mit Marktpotenzial
Vegan, High-Protein, Low Carb, Clean Label, Free From: Die Hülsenfruchtmehle von Müller’s Mühle bedienen gleich mehrere große Food-Themen und orientieren sich am Trend hin zu einer Ernährung auf pflanzenbasierten Inhaltsstoffen, wodurch sie bei einem Drittel der deutschen Verbraucher auf Resonanz stoßen dürften – denn diese Gruppe zeigt laut Mintel Report Deutschland ein besonderes Interesse an Lebensmitteln mit Pflanzenproteinen. Bei der Generation Z, den heutigen 16- bis 24-Jährigen, fühlt sich sogar fast jeder Zweite (46 Prozent) von solchen Produkten angesprochen. „Auch der wachsende Wunsch nach lokalen, nachhaltig angebauten Produkten treibt die Entwicklung voran“, meint Berning, der als Key Account Manager die Trends am Markt aufmerksam beobachtet. Für Produktentwickler lohne sich beispielsweise ein Blick nach Asien, um sich von „den dort angebotenen Brot- und Backwaren aus Hülsenfruchtmehlen inspirieren zu lassen“, verrät er im Gespräch.
Hinzu kommen für ihn die gesundheitlichen Aspekte. Erbsen, Bohnen und Linsen verfügen über eine hohe Nährstoffdichte, viel Eiweiß und komplexe Kohlenhydrate. Ihr hoher Proteingehalt macht sie nicht nur für Veganer und Vegetarier zum idealen Fleischersatz. Berning: „Die Ernährungswissenschaftler sind sich hier einig: Lebensmittel auf Basis von Hülsenfrüchten sind absolut empfehlenswert!“ Hülsenfrüchte bedienen zudem einen weiteren Trend für ihn, denn „sie spielen für die glutenfreie Ernährung eine zunehmende Bedeutung.“ Entsprechend wachse die Auswahl an Fleischersatzprodukten sowie die Vielfalt von Pasta-Produkten aus Linsen und Kichererbsen.
Neben Proteinen liefern die Hülsenfruchtmehle von Müller’s Mühle Ballast- und Mineralstoffe, B-Vitamine und Spurenelemente – und sind in dieser Hinsicht „den reinen Protein-Isolaten weit überlegen“, betont Bärenwalde. Auch in Sachen Nachhaltigkeit überzeugen die Mehle durch ihren ressourcenschonenden Anbau: Körnerleguminosen gehen eine symbiotische Beziehung mit Stickstoff bindenden Bodenbakterien ein und reduzieren so den Bedarf an Stickstoffdüngern. Sie steigern die Bodenfruchtbarkeit und haben einen geringen Wasserbedarf. Lediglich 50 Liter Wasser werden benötigt, um ein Kilogramm Hülsenfrüchte anzubauen. Sie sprechen damit Verbraucher an, die ihre Kaufentscheidungen am Point of Sale sehr bewusst treffen und bereit sind, für nachhaltig produzierte Lebensmittel einen höheren Preis zu zahlen.
Raus aus der Nische, rein in den Mainstream
Etablierte Lebensmittelproduzenten und innovative Start-Ups drängen mit einer Vielzahl neuer pflanzlicher Produkte auf den Markt. Plant Based Food hat sich so weit entwickelt, dass Verbraucher sich nicht mehr einschränken müssen, wenn sie auf der Suche nach pflanzlichen Alternativen sind. Beispiel US-Markt: Hier sei die Anzahl neuer Lebensmittel und Getränke mit der Bezeichnung "Plant Based" zwischen 2012 und 2018 um 268 Prozent gestiegen, melden die Marktforscher von Mintel. Ein Trend, der durch die Corona-Krise offenbar noch verstärkt wird. Daten der Plant Based Foods Association (PBFA) und des Good Food Institute (GFI), zeigen, dass der US-Einzelhandelsumsatz mit pflanzlichen Lebensmitteln im Jahr 2020 um 27 Prozent gewachsen ist.
Auch in Deutschland hält der Trend hin zu den Ersatzprodukten an, wie der aktuelle Ernährungsreport zeigt, den das Bundeslandwirtschaftsministerium im Mai vorstellte. Nach den Zahlen des Statistischen Bundesamtes Destatis wurden hierzulande im vergangenen Jahr 83,7 Millionen Kilogramm pflanzliche Fleischersatzprodukte produziert. Das sind 39 Prozent mehr als im Vorjahr. Dabei macht der "Vegan-Hype" vor keiner Kategorie halt, wie der Mintel- Report zum Thema Snacking verrät. Waren 2015 gerade einmal ein Zehntel (neun Prozent) aller Snackeinführungen als vegan ausgezeichnet, hat sich dieser Anteil im Jahr 2019 auf 17 Prozent fast verdoppelt. Für Heidi Lanschützer, Food & Drink Analystin bei Mintel, ist das eine logische Entwicklung, da „43 Prozent der deutschen Verbraucher Snacks aufgrund ihres geschäftigen Lebensstils als unverzichtbar erachten.“ Hohe Nachfrage bestehe vor allem für Lebensmittel, die zum Verzehr für unterwegs oder für den schnellen Hunger zwischendurch geeignet sind und den Verbrauchern gleichzeitig gesundheitliche Vorteile bieten. „Großes Interesse an Pflanzenproteinen besteht aufseiten jüngerer Verbraucher, was Herstellern noch einiges Innovationspotenzial bietet“, so Lanschützer. Energieriegel sind für die Marktforscherin ein gutes Beispiel: Während in 2015 in Deutschland ein Fünftel (22 Prozent) aller Energieriegel als vegan ausgezeichnet waren, stieg dieser Anteil 2019 auf 34 Prozent.
Vor allem Hülsenfrüchte als Zutat sind im Kommen. Erbsenprotein wurde in 0,9 Prozent und Kichererbsenmehl in 0,2 Prozent aller Lancierungen hierzulande verwendet. Bei Bohnen scheinen Hersteller noch etwas zaghaft zu sein, dennoch lässt sich auch hier eine leichte Wachstumsdynamik beobachten – von 0,2 Prozent aller Neuprodukte auf Bohnenbasis in 2015 stieg der Anteil jener Snacks in 2019 auf 0,7 Prozent. Die Mintel-Daten zeigen aber auch, dass funktionelle Mehle und Proteinkonzentrate auf Basis von Hülsenfrüchten bisher in nur wenigen Einführungen zu finden sind. Ebenso wie Lanschützer sind sich Christian Bärenwalde und Jürgen Berning sicher, dass dieser Anteil in Zukunft wachsen wird.
Kreativer Spielraum für Innovationen
Ob Neuproduktentwicklung oder Reformulierung: Viele Hersteller springen auf den Zug auf und bringen Rezepturen mit Inhaltsstoffen aus Leguminosen auf den Markt. Dabei liegt der Fokus nicht mehr allein auf den Kategorien, in denen traditionell Produkte aus tierischen Eiweißen dominieren. Mit ihren hochwertigen ernährungsphysiologischen und funktionellen Eigenschaften sind die Hülsenfruchtmehle aus der "Smart Pulses Pro"-Range die Basis für viele innovative Produktkonzepte im Plant- Based-Segment. Ob Ersatzprodukte für Käse, Joghurt und Quark oder vegane Drinks und Desserts: Die Anwendungspalette bei Milchalternativen ist groß. Vor allem die Linsenmehle sind hier aufgrund ihres neutralen Geschmacksprofils interessant. Sensorisch punkten die Zutaten zudem hinsichtlich der Textur, denn sie führen zu einer ansprechenden Konsistenz und Cremigkeit der Produkte. Das ernährungsphysiologische Profil ermöglicht High-Protein-Positionierungen und einen ansprechenden Nutri-Score. Die Konzentrate lassen sich dank ihres hohen Proteingehalts und ihrer strukturbildenden Eigenschaften zu hochqualitativen Texturaten weiterverarbeiten, die als Grundlage für Fleischersatz dienen. Neben rein veganen und vegetarischen Produkten eignen sich Texturate auf Hülsenfruchtbasis auch für Hybriderzeugnisse, in denen der Fleischanteil partiell ausgetauscht wird. Hinzu kommt die emulgierende Wirkung der neuen Konzentrate. Sie erlaubt es, Eier in einer Vielzahl von Rezepturen für Backwaren, vegane Mayonnaisen oder Dressings zu ersetzen.
Zurück nach Gelsenkirchen: Für Jürgen Berning und Christian Bärenwalde hat der Siegeszug der pflanzlichen Produkte gerade erst begonnen. Das Konzept von Plant Based Food auf Basis von Hülsenfrüchten vereint für die beiden Experten von Müller’s Mühle die gesamte Palette gesellschaftsrelevanter Fragen und Trends, angefangen bei der Massentierhaltung bis hin zu den gesundheitlichen und ökologischen Folgen eines übermäßigen Fleischkonsums. Um die Regionalität und Qualität der angebotenen Mehle sicherzustellen, setzt das Unternehmen verstärkt auf Vertragsanbau aus Deutschland – „ein wichtiger Baustein im Rahmen unser Strategie für eine zukunftsfähige und auf Wachstum ausgerichtete Rohstoffversorgung“, so Berning zum Abschluss des Gesprächs mit food design. Und das nicht ohne Grund. Denn Anfang 2022 will er zusätzlich eine Range entbitterter Hülsenfruchtmehle auf den Markt bringen.