SAUBER, SICHER, SCHMIERFREI
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Als Spezialist für "motion plastics" setzt igus auf Hochleistungskunststoffe, die im eigenen Haus entwickelt werden. Abgesehen von einer hohen Lebensdauer auch bei harten – und sehr unterschiedlichen – Beanspruchungen zeichnen sich diese Werkstoffe durch einen fest ins Material inkorporierten Schmierstoff aus. Ein separater Schmierstoff ist also nicht erforderlich – ein großes Plus und oft genug eine zwingende Voraussetzung beim Einsatz in der Produktion, Verarbeitung und Verpackung von Nahrungsmitteln. Bei Lineartechnik-Anwendungen werden diese Kunststoffe oftmals mit hartanodisiertem Aluminium oder mit "weichem" Edelstahl als Gleitpartner kombiniert, wenn die Korrosionsbeständigkeit und die FDA-Konformität zum Eigenschaftsprofil gehören sollen.
Lange Lebensdauer in hochautomatisierten Linien
Unabhängig vom Hygienic Design gelten in der Lebensmittelproduktion und -verpackung weitere Anforderungen, die unter anderem mit den großen Stückzahlen und der entsprechend hohen Produktivität zu tun haben. Die Anlagen arbeiten häufig im 24/7-Betrieb (gegebenenfalls mit Unterbrechungen für die häufigen und gründlichen Reinigungsvorgänge) und das mit sehr kurzen Taktzeiten. Unter diesen Umständen fordern die Anwender und Betreiber von jeder beweglichen (und damit zwangsläufig nie vollkommen verschleißfreien) Komponente ein Maximum an Lebensdauer bei minimalem Risiko eines vorzeitigen Ausfalls.
Nötig ist das schon deshalb, weil die Maschinen oft zu Produktionslinien verkettet sind und ein Ausfall nur eines Antriebselementes an einer Maschine die ganze Produktions- oder Verpackungslinie stoppen kann. Das sind typische Bedingungen, unter denen sich Gleitlager von igus in der gesamten Automatisierungstechnik bewähren – mit einem starken Anteil in der Food- & Beverage-Industrie, weil die rotativen iglidur-Lagerbuchsen und die drylin-Linearsysteme mit den dort üblichen Verfahren (Washdown, CIP, Hochdruck- oder Heißdampfreinigung, hochwirksame Reinigungsmedien) gereinigt werden können.
Lagerungen aus dem Baukasten für Thermoformanlagen: Exemplarisch steht hierfür eine Lösung aus dem Verpackungsbereich. GEA, ein führender Hersteller von Thermoform-Anlagen zum Verpacken von frischen Lebensmitteln, bedient sich aus dem igus-Konstruktionsbaukasten und nutzt schmierstofffreie Linearlager, rotative Lager und Antriebe. Dabei verwendet man diese Lager für innovative eigene Konstruktionen, zum Beispiel für ein kompaktes Spannsystem, das die Bahnspannung der Folie immer im grünen Bereich hält.
In der Längsrichtung, bei der Bahnkantenregulierung, kommt eine drylin-Trapezgewindespindel mit Mutter aus iglidur-Tribokunststoff zum Einsatz. Sie verschiebt die Folienrolle in axialer Richtung. Rotative Lagerungen werden mit den Polymer-Rillenkugellagern der xiros-Serie realisiert. Die Kombination von Polymergehäuse und Edelstahlkugeln gewährleistet einen schmiermittel- und wartungsfreien Betrieb, die FDA-Zulassung dokumentiert die Eignung für die Nahrungsmittelverpackung. Und in den Hubstationen der Tiefzieh- und Siegelstation übernehmen igus-Gleitlager Schwerstarbeit, wenn sie die Werkzeuge in vertikaler Richtung bewegen.
Einbaufertige Funktionsmodule für Etikettieranlagen: Ein weiteres Beispiel stammt aus der Abfüll- und Etikettiertechnik. Die Anlagen eines Weltmarktführers etikettieren typischerweise 60.000 Flaschen pro Stunde. Das sind 1.000 pro Minute oder knapp 17 pro Sekunde, und nach gut zwei Schichten (16,66 Stunden) hat die Anlage eine Million Flaschen etikettiert. Das stellt hohe Anforderungen an alle beweglichen Komponenten, insbesondere an deren Präzision und Verschleißfestigkeit. Außerdem müssen sie schmiermittelfrei sein, um Kontaminationen zu vermeiden, zumal häufig offene Flaschen etikettiert werden.
Der Anlagenbauer profitiert hier nicht nur von den besonderen Eigenschaften der igus- Lagertechnik, sondern auch davon, dass igus einbaufertige funktionale Komponenten liefert – zum Beispiel Umlenkrollen oder Verstellelemente von Sensoren mit linearer Verstellmöglichkeit, Klemmung, Skalenbandmaß und Befestigungselement. Das spart Zeit in der Anlagenmontage und gewährleistet die erforderliche Präzision. Typisch für igus ist die gemeinsame Entwicklung mit den Anwendern, um auch spezielle und insbesondere hygienische Anforderungen zu erfüllen. Auch hier ein Beispiel aus der Abfülltechnik: Die Konstrukteure von KHS in Bad Kreuznach wünschten Gleitlagerbuchsen, die vollständig spülfähig sind. Ein klassisches iglidur- Lager mit glatter Oberfläche erfüllt diese Anforderung nicht zu hundert Prozent. Deshalb wurde eine Gleitfolie mit längs verlaufenden Stegen gewählt, die sich in eingebautem Zustand gut durchspülen lässt. Eine Kleinigkeit gab es aber immer noch zu verbessern: Nach dem Spülen waren Laufspuren an den Wellen sichtbar.
Auch hier fanden igus und KHS eine Lösung: Innen, an der Gleitfläche zum Lager, ist die Nut jetzt gewendelt, das heißt spiralförmig ausgeführt. So wird in der Bewegung eine komplette Überdeckung erreicht und Schlierenbildung vermieden. Auf der Außenseite ist die Folie mit Noppen versehen, um Abstand zum Lagergehäuse zu halten. Auch auf dieser Seite kann man daher jetzt durchspülen. Das Ergebnis: eine vollständig spülfähig und schlierenfreie Gleitlagerbuchse. Diese Detaillösung steht für ein Konstruktionsprinzip, das igus im Nahrungsmittelmaschinenbau häufig anwendet: Bewegte Bauteile müssen nicht gekapselt werden, um höchste Hygieneanforderungen zu erfüllen. Wenn eine rückstandsfreie Spülung gewährleistet ist, bietet eine offene Bauweise sogar Vorteile gegenüber der Kapselung, weil der Anwender sich jederzeit von der Sauberkeit der Lagerung überzeugen kann.
Spülfähigkeit als Alternative zur Kapselung
Nach diesem Grundsatz hat igus jetzt mit der drylin W eine Lineargleitführung in Hygiene- Ausführung zur Serienreife entwickelt. Die Herausforderung war vor allem die Konstruktion eines spaltfreien Designs. Der Fokus lag daher in der Gestaltung eines komplett spülbaren Schlittens, bei dem Flüssigkeiten ungehindert ablaufen können, ohne dass sich Feuchtgebiete bilden. „Eine Neuheit auf dem Lineartechnik-Markt. Die meisten Hygienic Design-Lösungen basieren bisher auf einer kompletten Umhausung“, erklärt Stefan Niermann, Leiter des Geschäftsbereichs Lineartechnik (mehr dazu lesen Sie auch im folgenden Interview).
Der neue Schlitten besteht komplett aus einem FDA- und EU10/2011-konformen Hochleistungspolymer. Der schmierfreie Werkstoff beweist sich bereits jetzt mit seinen geringen Reibwerten als Gleitlagermaterial in unzähligen Anwendungen in der Lebensmittelindustrie. Zum Einsatz kommen außerdem hygienegerechte Schrauben und extra große Spülnuten. Angeschrägte Kanten ermöglichen einen schnellen Ablauf der Reinigungsmittel. Die Bodendichtung schützt den Raum unter der Schiene vor Verschmutzung und es können sich keine Rückstande von Lebensmitteln und Chemikalien absetzen. Aus dem gleichen Grund gibt es eine Abdichtung der Wellen, um Spalte vor Rückständen zu schützen. Als Linearschiene dient ein korrosionsbeständiger und hochlegierter Edelstahl V4A zur Vermeidung von mikroskopischen Oberflächenstrukturen, was das Anhaften von Schmutz verhindert.
„Die Argumente für offene Systeme sind aus unserer Sicht überzeugend“
Lars Braun, igus-Branchenmanager Verpackungsindustrie, und Stefan Niermann, Leiter des Geschäftsbereichs Lineartechnik, stellen aktuelle Hygienic Design- Neuentwicklungen aus "motion plastics" vor und erläutern, warum igus kürzlich Mitglied des EHEDG-Konsortiums geworden ist.
LT: Herr Niermann, das igus-Programm an hygienegerechter Lagertechnik für die Lebensmittel- und Verpackungsindustrie wächst – welche Neuheiten gibt es aktuell?
Stefan Niermann: Es gibt mehrere Neuheiten, von denen uns eine besonders wichtig ist. Wir haben eine drylin-Linearführung speziell für die Nahrungsmittelindustrie entwickelt – mit einem optimierten hygienegerechten Design nach EU-Normen und unter Berücksichtigung der EHEDG-Guidelines.
Was sind die wesentlichen Merkmale dieser Linearführung?
Niermann: Als Basis haben wir eine ganz normale drylin-W-Linearführung verwendet, die die identischen Anschlussmaße wie eine übliche Kugelführung hat. Der Schlitten besteht aber komplett aus Kunststoff, das Design ist offen und totraumfrei gestaltet. Das System ist vollständig spülbar – auch mit CIP-Verfahren – und somit hygienegerecht.
Gibt es schon erste Erfahrungen oder Rückmeldungen der Anwender?
Lars Braun: Die gab es von Anfang an. Wir sind mit mehreren Ideen und Produktstudien gestartet, die wir einigen Pilotkunden vorgestellt haben. Auf dieser Basis haben wir dann gemeinsam das jetzt serienreife Konzept entwickelt, das ein Hersteller von Mehrkopfwaagen bereits einsetzt.
Warum sprechen Sie von einem Konzept und nicht von einem Produkt oder einer Baureihe?
Niermann: Wir gehen hier bewusst einen anderen Weg und passen eben dieses Konzept individuell an den Anwendungsfall an. Zum Beispiel müssen die Spülkanäle je nach Einbaulage anders angeordnet werden. Wir sind fertigungstechnisch so flexibel, dass wir für jeden Kunden eine optimale hygienegerechte Linearführung projektieren und fertigen können. Das gilt übrigens auch für den Werkstoff. Neben iglidur A160, A181 und A350 mit FDA-Zulassung gibt es als Alternativen auch andere Hochleistungs- Polymere mit guten Gleiteigenschaften – natürlich immer in blau.
Wie sieht es mit anderen Grundsätzen des Hygienic Designs aus – zum Beispiel abgerundete Kanten oder glatte Oberflächen? Haben Sie das ebenfalls berücksichtigt?
Niermann: Selbstverständlich. Das gesamte Design ist darauf abgestimmt, dass sich keine Schmutznester anlagern können – hier haben wir umfassende Erfahrung. Oberflächengüte, Dichtungsmaterialien, Spülbohrungen, angeschrägte Kanten und gerundete Formen, keine verlierbaren Teile: Alle einschlägigen Anforderungen des Hygienic Designs sind erfüllt.
Sie erwähnten eingangs die EHEDG-Guidelines. Die fordern ja nun, dass bewegliche Bauteile entweder ein spaltfreies Design aufweisen oder, wenn sie dies nicht tun, entsprechend gekapselt sein müssen. Das trifft auf Ihre Linearführung nicht zu. Wie passt das zusammen?
Niermann: Es ist richtig: Stand heute würden wir für diese Linearführung keine EHEDG-Zertifizierung erhalten, weil sie nicht gekapselt ist. Aber wir sehen – auch aufgrund unserer großen Erfahrung mit hygienesensiblen Anwendungen – deutliche Vorteile einer offenen gegenüber einer gekapselten Bauweise. Man kann in place reinigen und sich dabei vergewissern, dass alle Schmutzreste entfernt wurden. Was sich in einer Kapselung verbirgt, weiß man hingegen nicht. Außerdem ist eine offene Komponente immer kompakter und auch servicefreundlicher. Realisieren lassen sich diese Vorteile nur, wenn man schmierstofffrei arbeitet, wie wir es tun.
Braun: Die Diskussion "offen oder geschlossen" führen wir bei vielen Kunden, und die Argumente für offene Systeme sind aus unserer Sicht überzeugend. Wir möchten diese Diskussion auch in den Gremien wie der EHEDG anstoßen und anregen, eine Zertifizierung für offene bewegliche Teile zu ermöglichen. Nicht zuletzt deshalb sind wir kürzlich der EHEDG beigetreten.
Außer dieser Linearführung haben Sie noch ein weiteres neues und hygienegerechtes Lagerelement vorgestellt ...
Braun: Ja, auf der Basis einer Designstudie aus dem vergangenen Jahr haben wir ein PRT-Drehkranzlager entwickelt – in gekapselter Bauweise, mit Edelstahl und einem FDA-konformen iglidur-Polymer als Gleitpaarung.
Wo sehen Sie für dieses Lager Anwendungen in der Nahrungsmittelproduktion?
Braun: Eine typische Anwendung sind fahrerlose Transportsysteme oder mobile Roboter, die in hygienesensiblen Bereichen arbeiten. Die PRT-Lager sind leicht und kompakt. Sofern keine extreme Präzision der Drehbewegung erforderlich ist, stehen ihnen viele Anwendungen offen – jetzt auch in der Lebensmittelindustrie. Wir haben bis jetzt nur über einen Ihrer beiden Geschäftsbereiche gesprochen – die Lagertechnik.
Wie sieht es bei den Energieketten aus? Haben Ihre Kollegen hier auch eine Hygienic-Design-Baureihe im Programm?
Braun: Das haben sie, und das ebenfalls ganz aktuell. Die Baureihe TH3 ist unsere erste Energiekette, die von Grund auf für den Einsatz in Hygienebereichen entwickelt wurde. Auch hier setzen wir auf das offene Konzept mit Spülbohrungen für eine perfekte Reinigbarkeit. Und wir bieten der Lebensmittelindustrie eine Innovation mit einem ausgereiften und leistungsfähigen Serienprodukt. Das ist deshalb erwähnenswert, weil viele Hersteller hier bisher mehr oder weniger überzeugende Do-it-yourself-Lösungen verwendet haben, um Leitungen und Schläuche unter Hygienebedingungen zu führen. Jetzt können sie ein Katalogprodukt nutzen, das exakt für diese sensible Anwendung entwickelt wurde.
Diesen Artikel finden Sie in LT 6/2023 auf den Seiten 14 bis 17.
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