„UNSERE TECHNOLOGIE IST EIN ABSOLUTES NOVUM“
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LT: Herr Scheibelmasser, viele Prozesse in der Lebensmittelindustrie beinhalten Sortieraufgaben. Sei es die Trennung von Gutem und Schlechtem oder die Entfernung von unerwünschten Verunreinigungen. Welche Rolle spielen Bildverarbeitungssysteme dabei?
Anton Scheibelmasser: Optische Analyseverfahren nehmen eine zentrale Rolle in der Qualitätssicherung ein. In vielen Lebensmittelunternehmen kommen Metalldetektoren oder Röntgengeräte am Ende der Produktionslinie zum Einsatz, um Fremdkörper aufzuspüren. Beide Verfahren haben aber ihre Nachteile. Röntgenbilder beispielsweise zeigen nur ein Schwächungsbild der kurzwelligen elektromagnetischen Strahlung und liefern nur ein Abbild der unterschiedlichen Dichten.
Eine Faustregel besagt: Sicher aufspüren lassen sich Fremdkörper, die nicht auf Wasser schwimmen ...
... womit Sie die eigentliche Sicherheitslücke ansprechen, denn damit ist die Detektion auf sehr dichte Materialien wie Metalle, Steine oder Glas limitiert. Viele andere organische Fremdkörper, darunter Kunststoffe, Holz, Insekten und Nagetiere werden nicht erfasst. Im Gegensatz dazu liefert die optische Charakterisierung insbesondere im Nahinfrarotbereich ein Abbild der chemischen Struktur der Produkte. Damit ist es möglich, alle Fremdkörper mit hoher Sicherheit zu erkennen und auszubringen. Gleichzeitig lassen sich quantitative Analysen von wichtigen chemischen Parametern inline erfassen und zur Prozesssteuerung oder Qualitätskontrolle heranziehen.
Klassische Vision-Systeme überprüfen die Qualität von Objekten, indem sie bestimmte Fehlermerkmale an der Oberfläche erkennen. Inwieweit unterscheidet sich die hyperspektrale Bildverarbeitung davon?
Die von Ihnen angesprochenen Sortiersysteme arbeiten typischerweise mit den drei Wellenlängen des sichtbaren Bereichs, also mit rot, grün und blau. Je nach den verwendeten Beleuchtungssystemen, Laser oder LED, werden die Bilder im sichtbaren Bereich erfasst, um Produktdefekte zu identifizieren. Häufig werden diese Systeme mit Sensoren ergänzt, die einzelne Wellenlängen im nahen Infrarotbereich abdecken. Im Unterschied dazu decken die Hyperspektralkameras, die unser Partner EVK speziell für die Sherlock-Anlagen entwickelt, rund 240 Wellenlängen im Nahinfrarotbereich ab ...
Mit dieser Funktion lassen sich Ihre Systeme also in Bereichen einsetzen, in denen Farbkameras an ihre Grenzen stoßen?
Ja, wir eröffnen der Bildverarbeitung damit ganz neue Anwendungsszenarien, die deutlich über die Möglichkeiten der multispektralen Bildverarbeitung hinausgehen. Anders als bei traditionellen Bildverarbeitungssystemen erkennen Hyperspektralkameras nicht die eigentliche Farbe, sondern die chemische Struktur des Materials, indem das reflektierte Licht und seine Wellenlänge beobachtet werden. Basierend darauf kann mit unserer Chemical Imaging Technology auf die Zusammensetzung der Lebensmittel geschlossen werden.
„Dank KI-Technologie lassen sich komplizierte Aufgaben in der Qualitätssicherung lösen.“
Was verbirgt sich hinter dieser Technologie?
Die hochpräzise Bildgebungstechnologie Chemical Imaging Technology, kurz CIT, ist ein absolutes Novum in der optischen Sortierung und Überwachung von Lebensmitteln. Der Markenname der Firma Insort bezeichnet ein proprietäres Verfahren, welches mit Hilfe der Informationen aus der Hyperspektralkamera, unter Verwendung einer Falschfarbenkodierung, die chemischen Eigenschaften der Lebensmittel sichtbar macht. Abgeleitet von den Erfahrungen in der Recyclingindustrie, haben wir die Methode vor elf Jahren in die Lebensmittelindustrie eingebracht.
Hyperspektrale Kameras liefern ein zweidimensionales Bild der Produkte. Stoßen sie damit nicht an Grenzen, beispielsweise wenn es um die Aussortierung defekter "dreidimensionaler" Lebensmittel geht?
Für die meisten Anwendungen reicht die 2D-Darstellung völlig aus. Für die von Ihnen angesprochene Defektsortierung ist eine Rundumsicht auf das Produkt natürlich von Vorteil. Um dies zu gewährleisten, kommen die Hyperspektralkameras innerhalb der Sherlock-Systeme in einer Freifallanordnung zum Einsatz und werden zweiseitig instrumentiert. Damit gelingt eine hohe Oberflächenabdeckung bei Erkennung von spektralen Unterschieden zwischen Gut- und Schlechtprodukt.
Kommen wir noch einmal auf die physikalischen Grundlagen zu sprechen. Die NIR-Spektroskopie gilt als das Mittel der Wahl, wenn es um die schnelle Qualitätskontrolle im Labor geht ...
Das Verfahren ist zerstörungsfrei und erfordert keine Probenvorbereitung. Damit stellt es eine praktische Alternative zu den zeitaufwändigen, nass-chemischen und chromatografischen Methoden dar. Das Prinzip dahinter: Wird Licht im nahen Infrarotbereich breitbandig auf ein Lebensmittel gestrahlt, so beginnen dessen Moleküle in einer charakteristischen Art und Weise zu oszillieren. Im reflektierten NIR-Spektrum macht sich die für die Schwingungsanregung verwendete Energie in Form einer verminderten Strahlungsintensität bemerkbar. Die Hyperspektralkameras verwenden als zentrales Element einen Spektrographen, der es erlaubt, eine breitbandige Infrarotstrahlung in ihre Wellenlängen aufzuspalten.
Welcher Wellenlängenbereich wird abgedeckt?
Der verwendete Wellenlängenbereich befindet sich zwischen dem sichtbaren Licht und der Wärmestrahlung in einem Wellenlängenbereich von 930 bis 1.700 Nanometer. Die Grenze wird durch die Sensitivität der verwendeten InGaAs-Detektoren definiert (Anm. d. Red.: Indium- Gallium-Arsenid-Detektoren).
Wie wirkt sich die höhere Informationsdichte je Pixel in der Praxis aus?
Vor allem in handfesten Performancevorteilen. Nicht nur Fremdkörper, auch Produktdefekte die für das menschliche Auge unsichtbar und mit Multispektrallösungen nicht detektierbar sind, lassen sich sehr gut erkennen. Darüber hinaus zeichnen sich die Sherlock-Systeme durch eine geringe Übersortierung und bessere Feldstabilität aus, beispielsweise bei variierenden Rohstoffqualitäten. Lebensmittelproduzenten sortieren deutlich wirtschaftlicher – trotz der anfangs höheren Investitionskosten.
„Sherlock deckt mit seinen Hyperspektralkameras 240 Wellenlängen im Nahinfrarotbereich ab.“
Wenn die hyperspektrale Bildverarbeitung auf denselben physikalischen Grundlagen basiert wie die NIR-Spektroskopie: Worin genau liegt ihr Vorteil?
Im Wesentlichen in der Möglichkeit, die Spektren ortsaufgelöst und in Echtzeit zu erfassen. Damit eröffnet die hyperspektrale Bildverarbeitung ganz neue Anwendungsmöglichkeiten – und das nicht nur im Labor, sondern im direkten Produktionsumfeld der Lebensmittelindustrie, beispielsweise im Rahmen von Sortierprozessen. Möglich ist es, chemische Unterschiede zwischen Gut- und Schlechtprodukt ortsaufgelöst und in Echtzeit zu unterscheiden. Sogar ausgewählte Parameter lassen sich quantitativ inline messen, beispielsweise die Trockensubstanz, der Fett- und Proteingehalt oder die Restschalenwerte von dampfgeschältem Gemüse. Mit unserer Technik lösen wir aber auch erheblich komplexere Herausforderungen ...
Lassen sich beispielsweise auch unreife oder mit Schädlingen beziehungsweise Schimmel befallene Waren ausschleusen?
Sherlock bietet gerade im Vergleich zu Röntgensystemen den Vorteil, mehr und zusätzliche Daten zum Produkt zu liefern. Um Ihnen ein Beispiel zu geben: Unsere Sortiermaschinen sind nicht nur in der Lage, verschimmelte Nüsse oder auch durch Schädlinge verdorbene Produkte mit Hilfe der Chemical Imaging Technology sicher auszuschleusen. Sie können zusätzlich auch die Konzentration des jeweiligen maßgebenden Analyten bestimmen beziehungsweise diese für die Sortierung anwenden. Basierend auf dieser Fähigkeit wurde Insort im Jahr 2017 ein Patent für das Erkennen ranziger Nüsse, Samen und Ölfrüchte erteilt. Ebenso ist es möglich, hochgiftige Bittermandeln auszusortieren.
Welche Rolle spielt die Künstliche Intelligenz bei den Klassifizierungsalgorithmen?
Im Bereich der Künstlichen Intelligenz sind seit Jahren Installationen von Insort in der Lebensmittelindustrie im Einsatz. Unsere jüngsten Sherlock-Systeme sind mit den neuesten KI-Methoden ausgerüstet, die wir kontinuierlich weiterentwickeln. Lebensmittelproduzenten haben künftig dank KI-Technologie die Möglichkeit, auch komplizierte Aufgaben in der Qualitätssicherung zu lösen – beispielsweise das Erkennen von eingedrückten Schalenresten bei der Nussverarbeitung.
Auf der Anuga FoodTec stellen Sie die dritte Generation Ihrer Chemical Imaging Technology vor. Welche neuen Features wurden eingeführt?
Die Hyperspektralkameras der dritten Generation verfügen über eine deutlich geringere Bauhöhe und profitieren von einen erweiterten Temperaturbereich bis 50 Grad Celsius. Darüber hinaus wurden wesentliche Verbesserungen im Bereich des Spektrographen und der KI-gestützten Analyse umgesetzt. Es gibt mehr Optionen bei der Parametrierung. Die Vollspektrum- Echtzeitanalyse ist jetzt noch präziser. Vor allem die quantitative Analyse, das heißt die Korrelation zwischen Laboranalytik und kontaktloser Messung durch die Kamera, erfolgt mit höherer Qualität. In Summe sorgen die neuen Features für eine Verbesserung im Bereich der Lebensmittelsicherheit und Lebensmittelqualität.
„Unsere Chemical Imaging Technology ermöglicht es, hochgiftige Bittermandeln auszusortieren.“
Lebensmittel sind oft sehr heterogen in ihrer chemischen Zusammensetzung. Viele Rohstoffe stellen zudem aufgrund von Form und Reflexionseigenschaften besondere Anforderungen an die Qualitätskontrolle. Wie vermeiden Sie unter diesen Bedingungen hohe Pseudoausschussraten?
Ein wesentlicher Aspekt der optischen Charakterisierung ist die optimale Beleuchtung. Diese muss sowohl hinsichtlich der Intensität, aber auch der Wellenlänge der jeweiligen Aufgabe angepasst werden. Ein zweiter, nicht weniger wichtiger Aspekt ist die Auflösung des Kamerasystems, um die geforderten Mindesterkennungsraten und Analysen zu gewährleisten. Insort hat durch elf Jahre Erfahrung gelernt, mit einer Kombination von Hyperspektralkameras und RGB-Kameras sowie der optimal darauf abgestimmten Halogen- beziehungsweise LED-Beleuchtung ein Setup zu liefern, welches die Übersortierung auf ein Minimum beschränkt.
Aktuell bieten Sie sechs Sherlock-Maschinen an, die auf der Chemical Imaging Technology basieren ...
Die Maschinen unterscheiden sich in erster Linie hinsichtlich der Produkte, für die sich eignen, und der Sortierwegeanzahl. Letzteres bestimmt auch die Position in der Produktionslinie. Basierend auf diesen beiden Kriterien werden die Kamerasysteme und die Beleuchtungstechnik integriert, die Ausschleusung konfiguriert und die Systeme für die Zu- und Abführung der Produkt ausgelegt.
Welches sind typische Einsatzszenarien der Maschinen?
Für kleinteilige Produkte bieten wir den Sherlock Air mit seiner Druckluftdüsenausschleusung an. Sollen zusätzlich große Fremdkörper ausgeschleust werden, stehen der Sherlock Hybrid und der Sherlock Hybrid Potatoes zur Verfügung. Beide sorgen dank einer Kombination aus Luftdüsen und Klappen, sogenannte Drop Gates, für höchste Effizienz in der Trennung.
Hinzu kommt der Sherlock Separator ...
Ursprünglich entwickelt für die Verarbeitung ganzer Kartoffeln, setzt er als Dreiwege-Sortiermaschine mittlerweile auch Maßstäbe in der Obst- und Gemüseindustrie. Mit Hilfe seiner beiden aktiven Klappenreihen übernimmt er das Aussortieren von Fremdkörpern und defekten Produkten. Dank der integrierten Peel-Scan- Funktion maximiert er die Ausbeute im Schälprozess und analysiert den Restschalenanteil, um so beispielsweise die Dampfschälung zu steuern. Für reine Monitoring-Aufgaben ohne Effektorik haben wir darüber hinaus den Sherlock Food Analyser entwickelt. In der zweiten Generation bieten wir ihn jetzt mit optimiertem Design an. Inline und in Echtzeit lässt sich damit die chemische Zusammensetzung der Produkte ortsaufgelöst auswerten. In Kombination mit einer RGB-Kamera sind auch Produktdefekte, Formen und Größen bestimmbar.
Jüngste Innovation aus dem Hause Insort ist der Sherlock Safeguard, den Sie auf der Anuga FoodTec präsentieren. Was leistet die Maschine?
Beim Sherlock Safeguard handelt es sich um einen End-of-Line-Zwei-Wege-Sortierer, welcher die Fremdkörpersicherheit des fertigen Produktes garantiert. Mit Hilfe der "Zero Touch Reject Technology" schleust er Fremdkörper aus, ohne sie zu berühren. Es ist keine aktive mechanische Berührung oder ein Luftstoß erforderlich, um Fremdkörper aus dem Produktstrom zu entfernen, was höchste Zuverlässigkeit garantiert – ganz im Sinne der Produktsicherheit.
„Sortiermaschinen haben das Potenzial, in der Industrie 4.0-Produktion autonom zu agieren.“
Was ist das Besondere an dieser Auswurftechnologie?
Luftdüsen sind bei derart komplexen Anforderungen wesentlich fehleranfälliger. Dank seiner berührungslosen Entfernungstechnologie personalisiert der Sherlock Safeguard die Öffnungszeit und entfernt hocheffektiv gefährliche Materialien – ohne danach mit Paddeln zu schlagen oder Hochdruckluft zu verwenden. Je nach Größe und Lage der Fremdmaterialien öffnet das System automatisch ein oder mehrere Hochgeschwindigkeits-Auswurftore. Objekte wie große oder schwere Steine, Stöcke oder Metallteile, aber auch sehr leichte Elemente wie Plastikfolie, Karton und Papier lassen sich so ausschleusen.
Zusätzlich ist der Sherlock Safeguard mit dem Inline Foodlab 4.0 ausgestattet ...
Dabei handelt es sich um eine auf Künstlicher Intelligenz basierenden Analysetechnologie. Sie erlaubt der Maschine, chemische und optische Messwerte an die Qualitätsabteilung in Form detaillierter Statistiken weiterzuleiten. Lebensmittelproduzenten sind damit in der Lage, in Echtzeit zu reagieren und Probleme in der Produktion unmittelbar zu beheben.
Welches Zukunftspotenzial bietet die Chemical Imaging Technology der Lebensmittelindustrie darüber hinaus?
Auf Grund der enormen Datenmenge sind die Analysen und Algorithmen lange noch nicht ausgeschöpft. Eine mit Hyperspektralkameras ausgestattete Sortiermaschine hat das Potenzial, als Inline-Datenquelle in der Industrie 4.0-Produktion autonom zu agieren und zusätzlich zur Fremdkörpererkennung zentrale Anlagenteile zu steuern. Neben den optischen Eigenschaften werden sich künftig weitere physikalische Eigenschaften erfassen lassen, um daraus Schlüsseldaten zu fusionieren, die sich wiederum für prozessrelevante Entscheidungen nutzen lassen.
Was beutet das für Insort?
Wir wollen die Technologieführerschaft im Bereich der Hyperspektraltechnologie weiter ausbauen und setzen verstärkt auf den Einsatz Künstlicher Intelligenz, die wir in unsere Sortiermaschinen integrieren. Damit ist der Schritt zu neuen Applikationen vorgezeichnet. Branchen wie die Tiefkühlkostindustrie oder Fleischwarenverarbeitung, die bislang nicht zu unseren Kunden zählten, werden künftig von der Chemical Imaging Technology profitieren.
Das Gespräch führte Mareike Bähnisch, freie Fachjournalistin für Prozesstechnik.