© Tobias Vogt
Nachhaltigkeit ist für Ralf Schubert nichts Neues: Als geschäftsführender Gesellschafter ist er verantwortlich für die Technik bei der Gerhard Schubert GmbH. Aktuell entwickelt er eine neue Maschinengeneration, die dem Prinzip "Minimum Valuable Product" folgt.
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Das Maschinenkonzept Power Compact, das auf der Fachpack an einem Riegelpacker mit Comfort Feeder gezeigt wird, verspricht hohe Leistung auf kleinstem Raum.
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Eine der neuen Schubert-Technologien für nachhaltige Verpackungslösungen ist Dotlock – für zugstarke Verbindungen von Kartonagen ohne Heißleim.

„WIR MÜSSEN RAUS AUS DER PREMIUMFALLE!“

Ein zentrales Ziel der Gerhard Schubert GmbH ist, die Konsumgüterhersteller auf ihrem Weg in eine nachhaltige Zukunft zu unterstützen. Folgerichtig entwickelt das Crailsheimer Unternehmen seine modularen Verpackungsmaschinen ständig weiter. Im Vorfeld der Fachpack sprach LEBENSMITTELTECHNIK mit Geschäftsführer Ralf Schubert, der den europäischen Maschinenbau in einer „Premiumfalle“ gefangen sieht. Er fordert, die Komplexität der Maschinen weiter zu reduzieren.

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LT: Herr Schubert, entgegen der wirtschaftlichen Lage im Maschinenbau hat die Gerhard Schubert GmbH im Jahr 2023 mit 320 Millionen Euro und einem Umsatzplus von über neun Prozent ein beachtliches Wachstum hingelegt ...
Ralf Schubert: Auch im laufenden Jahr sind die Fertigungs- und Montagekapazitäten zu 100 Prozent ausgelastet und die Auftragsbücher bis hinein in das Jahr 2025 gefüllt. Wir befinden uns damit in einer komfortablen Ausgangsposition für innovative Produktentwicklungen – insbesondere, weil das Budget für Forschungsaufwendungen in 2024 mit einem Umfang von neun Prozent der Gesamtleistung erneut das größte Einzelbudget ist.

Welches sind aktuell die wichtigsten Innovationstreiber im Verpackungsmaschinenbau?
Für uns als Verpackungsmaschinenbauer steht Innovation generell im Fokus. Innovation liegt bei Schubert von Beginn an in den unternehmerischen Genen. Natürlich gibt es viele externe Innovationstreiber. Dazu gehört das Thema Nachhaltigkeit, das die Anforderungen an die Maschinen weiter erhöht. Die gesamte Verpackungsbranche ist gefordert, neue Anlagen und Materialien zu entwickeln.

„Wir müssen den Kostenabstand zu den chinesischen Wettbewerbern so gering wie möglich halten.“
 

Wie sehen nachhaltige Lösungen im Zusammenspiel zwischen Verpackung und Maschine aus?
Ob bestehende Schachteln maschinengängig werden sollen, neue Kartonverpackungen anstelle von Kunststoffverpackungen gefragt sind oder Alternativen gemeinsam mit einem Packmittelhersteller entwickelt werden, wir haben für alle diese Fragen Lösungen zu bieten. Welche das konkret sind, können Besucherinnen und Besucher der diesjährigen Fachpack bei uns am Stand erfahren. Live zu sehen in Nürnberg ist unsere neue "Power Compact"-Anlage – ein Riegelpacker mit einem einbahnig arbeitenden Aufrichter und Zuschnittzuführung direkt von der Palette per TLM Comfort Feeder.

Was zeichnet die Anlage aus?
Sie bietet Herstellern ein vorteilhaftes, weil schlankes Maschinenkonzept. Es handelt sich um eine sehr kompakt gebaute und platzsparende Anlage zum Aufrichten, Befüllen und Verschließen, die mit 60 Takten pro Minute arbeitet. Dabei können die über den Comfort Feeder zugeführten Zuschnitte vorab auf die größtmögliche Verwertung des Verpackungsmaterials optimiert werden. Dieses exakte, robotergestützte Befüllen im Top-Loading-Verfahren ist besonders geeignet, um Produkte passgenau in enge Schachteln zu platzieren und Verpackungsvolumen einzusparen – übrigens eine der Vorgaben der neuen Verpackungsverordnung PPWR.

Mit Blick auf die demografische und konjunkturelle Entwicklung dürfte der Fachkräftemangel eine weitere Herausforderung sein. Vielen Mittelständlern mangelt es an Mitarbeitenden mit Erfahrungen im Bereich digitale Technologien oder Softwareentwicklung ...
Der Fachkräftemangel beschäftigt gegenwärtig alle Akteure der Branche, sowohl uns als auch unsere Kunden und die Maschinenbauer insgesamt. Es handelt sich aber nicht um ein rein deutsches Problem, sondern betrifft weltweit unsere Kunden. Sie benötigen immer mehr Hilfe von den Maschinenbauern, um die Produktion am Laufen zu halten. Die Maschinenbauer wiederum sind mit der Herausforderung konfrontiert, genügend Mitarbeiter zu finden, die reisen wollen.

Digitalisierung und Automatisierung allein können den Fachkräftemangel also nicht lösen?
Nein. Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, muss die Komplexität der Verpackungsmaschinen reduziert werden. Nicht zielführend ist es aus meiner Sicht, die Komplexität mit immer mehr Maßnahmen wie größere Hotlines oder bessere Schulungen und mehr Projektleiter zu bekämpfen. Komplexität muss an der Basis beseitigt werden – und das sind die Maschinen ...

Führt die Entwicklung von Maschinen, die individuell an die Wünsche der Kunden angepasst sind, in Kombination mit steigender Produktkomplexität und digitalisierten Services, nicht zwangsläufig zu einer immer weiter zunehmenden Komplexität?
Ich spreche deshalb gerne von einer Premiumfalle, aus der wir raus müssen. Das betrifft aber, wie erwähnt, nicht nur Schubert, sondern viele europäische Maschinenbauer. Sie alle befinden sich in dieser Komplexitätsfalle. Es fällt ihnen schwer, nicht die technisch anspruchsvollste Lösung anzubieten, sondern einfache, dem Markt angepasste Lösungen. Diese Vielfalt an technischen Lösungen verursacht einen proportionalen Anstieg der Kosten. Damit wird es schwierig am Markt zu bestehen, wenn chinesische Maschinenbauer günstige Verpackungsmaschinen im mittleren Segment anbieten – was in den kommenden Jahren passieren wird.

Und wie sieht er aus, der Ausweg aus dieser Premiumfalle?
Ganz klar: Komplexitäts- und Kostenreduzierung. Die europäischen Maschinenbauer müssen mit Innovationen reagieren und gleichzeitig den Kostenabstand zu den chinesischen Wettbewerbern so gering wie möglich halten. Bei Schubert entwickeln wir gegenwärtig die achte Generation unserer TLM-Maschinen, deren Leistungsdichte sich weiter erhöht ...

... für noch geringeren Platzbedarf, geringere Kosten und einfachere Werkzeuge.
Ja, das allein reicht aber nicht. Parallel dazu haben wir mit der Konzeption einer zweiten Produktlinie speziell für das mittlere Segment begonnen. Natürlich sind wir uns bewusst, dass diese Anlagen teilweise in Konkurrenz mit unseren TLM-Maschinen stehen werden.

Wie wird sie aussehen, diese nächste Generation leistungsfähiger Verpackungsmaschinen aus dem Hause Schubert? Können Sie uns einen Einblick in Ihre Idee geben?
Bei dieser Produktlinie geht es um eine noch stärkere Standardisierung. Wir wollen für einzelne Verpackungsfunktionen 100-prozentige Standardmaschinen, mit denen 80 Prozent der Verpackungsaufgaben gelöst werden können. Sie sind nach dem "Minimum Valuable Product"-Prinzip entwickelt, das heißt sie bestehen nur aus dem, was der Kunde tatsächlich benötigt. Das bedeutet auch, dass die Kunden mit Spezifikationen nur noch wenige Optionen haben, wenn sie diese Maschinen bestellen – zumal die Maschinen auf Lager produziert werden.

Wie wirkt sich dieses Prinzip auf die Flexibilität im Einsatz aus?
Bei der neuen Maschinengeneration denken wir vor allem an die Sekundär- und Tertiärverpackung. Sie soll in allen Branchen und auch bei hohen Verpackungsleistungen zum Einsatz kommen. Die Standardzellen werden dank ihres MVP-Ansatzes sehr einfach. Für die Programmierung werden keine Fachkräfte benötigt. Mit den Standardzellen für die einzelnen Funktionen ergeben sich nicht nur flexible, sondern wandlungsfähige Maschinen. Unsere Kunden erhalten damit eine noch größere Investitionssicherheit. Die Primärverpackung bleibt demgegenüber weiterhin unseren Pickerlinien und Flowpackern vorbehalten.

„Wir arbeiten an Standardmaschinen, mit denen 80 Prozent der Verpackungsaufgaben gelöst werden.“
 

Inwieweit unterscheidet sich dieser neue Ansatz von der TLM-Konzeption?
Unsere TLM-Maschinen sind hochflexibel und lassen sich mit neuen Werkzeugen an diverse Produkte anpassen. Lebensmittelproduzenten müssen aber von Anfang an im Blick haben, was kommen könnte, um sicher zu sein, dass die neuen Aufgaben gelöst werden können. Natürlich lassen sich unsere TLM-Maschinen nachträglich umbauen, woraus sich aber zwangläufig Produktionsstillstände ergeben. Die Zellen der neuen Generation werden dagegen so wandlungsfähig sein, dass man in einer Konstruktionsbesprechung nicht an künftige Formate oder Leistungserhöhungen denken muss. Man kann auf diese reagieren, wenn sie später tatsächlich benötigt werden. Erst dann werden beispielsweise neue Werkzeuge für die Zellen gebaut.

Welche Möglichkeiten bietet Künstliche Intelligenz im Verpackungsprozess? Und wie wirkt sich das auf die Entwicklung Ihrer Maschinen aus?
Wir setzen KI in mehreren Bereichen ein, etwa in der Bildverarbeitung, mit der unsere Cobots das Bin Picking beherrschen. Wenn Produkte mit dem Griff in die Kiste oder aus einem Haufen genommen werden müssen, ist keine Programmierung mehr notwendig. Die Höhenerkennung in der Kiste ist bei unseren Cobots dank KI durch einfache Kameras möglich. Damit reduzieren wir die Kosten für die Sensorik um den Faktor Zehn. Auch bei der Bahnplanung einiger Roboter setzen wir KI ein. Die ersten Erfahrungen zeigen, dass wir damit bis zu 20 Prozent schnellere Bewegungen realisieren oder die Belastung für die Mechanik und den Energieverbrauch reduzieren können.

Kaum ein Thema stößt derzeit auf so viel Resonanz wie der Digitale Zwilling. Welche Rolle spielt er bei der Entwicklung Ihrer Maschinen?
Wir nehmen unsere TLM-Maschinen mit der Originalsoftware unserer Steuerung virtuell in Betrieb. Der Digitale Zwilling spielt damit eine große Rolle. Allerdings ist dies noch unseren Technikern vorbehalten und noch nicht bei unseren Kunden angekommen. Es wäre schön, wenn wir zukünftig am Ende einer Konstruktionsbesprechung nicht nur Skizzen, sondern einen lauffähigen Digitalen Zwilling hätten. Das würde die Kommunikation mit unseren Kunden verbessern und nach der Lieferung der Maschine könnten die Kunden den Digitalen Zwilling einsetzen, um ihre Maschinen selbst zu konfigurieren, programmieren und simulieren.


Diesen Artikel finden Sie in LT 9/2024 auf den Seiten 30 und 31.

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